Der Marokkaner Bounasser ließ alle Favoriten hinter sich, mit Nancy Kiprop siegt eine siebenfache Mutter – Biathlon-Trainer Peter Herzog, 30, knackt das EM-Limit.
Wien. Beim stets top organisierten Wien-Marathon ist manchmal auch Improvisation nötig. Weil mit dem Marokkaner Salaheddine Bounasser ein absoluter Überraschungssieger am Sonntag ins Ziel gelaufen war, war man dringend um schnelle Kommunikation bemüht. Es stand kein Dolmetscher bereit, der in Marrakesch lebende Läufer sprach nur Arabisch – also griff VCM-Kommunikator Andreas Maier zum Handy und ließ einen Bekannten übersetzen. Bounasser, 38, grinste. Natürlich trat der an starker Pollenallergie leidende Wien-Sieger (2:09:29 Stunden) prompt seine Ehrenrunde an.
Während er sich also vor dem Burgtheater feiern ließ und sich bei Organisator Wolfgang Konrad die Irritation wegen Weltrekordler Dennis Kimetto (gab wegen Muskelproblemen auf) zu legen begann, brandete Applaus auf.
Das Seitenstechen ignoriert
Der beste Österreicher, Peter Herzog, war als Zehnter ins Ziel gelaufen. Er war die Überraschung dieses Rennens, noch nie war der Biathlontrainer des Skigymnasiums Saalfelden schneller gelaufen. 2:16,57 Stunden bedeuteten jedoch in seinem erst achten Marathon (3:23-Stunden) nicht nur persönliche Bestmarke, sondern bescherten ihm auch das EM-Limit für Berlin (Mitte August).
„Ein Wahnsinn, ich stell mich ja gar nicht so deppert an“, rang also der Salzburger, 30, der als Langläufer anfing und sich später im Biathlon (unter Trainer Alfred Eder) und Triathlon („Schwamm wie eine Werkzeugkiste“) verdient machte, nach eloquenten Antworten. Winters über trainiert er viel, legt die Laufbahn mittels Schneefräse selbst frei. „Es ist einfach unglaublich. Ich muss das alles erst einmal verdauen.“
Seit Donnerstag war Herzog schon in Wien. Er sah sich alles an, studierte die Strecke. Er fühlte sich trotzdem im Hotel schon wie in einem „Käfig“ gefangen, das Warten auf das Rennen strapazierte zusehends die Geduld des Schützlings von Peter Bründl. Dazu kamen die warmen Temperaturen, die ihm „eher nicht so“ lägen. Bei Kälte fühle er sich wohler, sagt Herzog, der bei Kilometer 30 einen „Schlag“ verspürte, von Seitenstechen geplagt wurde und sich zwei Kilometer lang überlegte, ob er denn nun „gehen oder laufen“ sollte. Er lief, kurzerhand passten auch wieder Schritt und Tempo.
Mit Lauftalent beschenkt
Der „schnellste Biathlontrainer Europas“ habe zwar einen „vollkommen unökonomischen Laufstil“, doch stimme die Frequenz, seien solche Zeiten durchaus möglich. Das hatte er bei einem 10-km-Lauf (29:03) und im März bei der Halbmarathon-WM (63:22 Minuten, drittschnellste ÖLV-Zeit) in Valencia erstmals gemerkt. Jetzt hat er sich bei seinem zweiten Wien-Marathon den größten Traum erfüllt. Er fährt zur EM. Ob das aber seiner Liebe zum Biathlon schade? „Man muss alle Sportarten respektieren. Aber mir hat man offenbar das richtige Lauftalent geschenkt.“
Rekorde förderte die 35. Auflage des Laufklassikers keine zutage, dafür wiederholte Vorjahressiegerin Nancy Kiprop in 2:24,18 Stunden ihren Vorjahressieg. Die 38-jährige Kenianerin verpasste damit den Streckenrekord der Italienerin Maura Viceconte (2000, 2:23:47) knapp – aber mit bereits 19 Grad am Start bei der Reichsbrücke waren es nicht die besten Vorzeichen gewesen. Der siebenfachen Mutter (davon sind fünf adoptiert) half aber die Ortskenntnis, „beim Fußballstadion, da wollte ich den Angriff probieren – und es gelang“.
Eva Wutti verpasste als Siebente bei ihrem Marathondebüt das erhoffte EM-Limit von 2:37 Stunden um 59 Sekunden, Katharina Zipser wurde Zehnte in 2:44:41.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2018)