Handball-WM

"In Österreich ist Handball kein Volkssport"

Kein Halten: Österreichs Handballer mussten sich am Samstag bei der WM überraschend Chile geschlagen geben.
Kein Halten: Österreichs Handballer mussten sich am Samstag bei der WM überraschend Chile geschlagen geben.(c) APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND
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Die Niederlage gegen Chile war ein Beleg dafür, dass Österreich auf dem Weg zu einer Topnation noch viel Arbeit bevorsteht.

Auch am Tag nach der ernüchternden 24:32-Niederlage gegen Chile bei der Weltmeisterschaft im dänischen Herning herrschte Fassungslosigkeit im Lager der österreichischen Handballer. Teamchef, Spieler und Sportdirektor, sie alle suchten nach Antworten auf die belastenden Fragen. „War die Angst, zu verlieren, zu groß? Haben wir uns zu stark eingeschätzt?“ Teamchef Patrekur Jóhannesson rätselte, für den Isländer stand mit etwas Abstand aber eines fest: „Wir haben mit angezogener Handbremse im Kopf gespielt. Es kann nicht sein, dass wir plötzlich so schlecht sind.“

Tatsächlich war es eines der schwächsten, wenn nicht sogar das schwächste Länderspiel der jüngeren Geschichte der ÖHB-Männer.

Der Niederlage liegt ein kollektives rot-weiß-rotes Versagen zugrunde. Anders ist eine derart hohe Niederlage gegen Chile, das den erst zweiten Sieg gegen eine europäische Mannschaft bei einer WM nach dem 32:28 gegen Weißrussland vor zwei Jahren gefeiert hat, nicht zu erklären. „Dieses Spiel war ein Schritt zurück. Ich hätte gedacht, dass wir weiter sind“, erklärte der ehemalige Nationalteamspieler Conny Wilczynski, in Herning als TV-Experte vor Ort.

Skandinavische Vorbilder

Ein Jahr vor der länderübergreifenden Heim-Europameisterschaft in Kooperation mit Schweden und Norwegen drückt die Momentaufnahme auf das Gemüt, dabei haben Österreichs Handballer in der vergangenen Dekade Beachtliches geleistet. Nach der EM 2010 im eigenen Land qualifizierte sich das ÖHB-Team inklusive der momentan laufenden WM für fünf Großereignisse. „Wir werden mittlerweile wahrgenommen“, bemerkt Sportdirektor Patrick Fölser. Die Heim-EM vor neun Jahren hatte unbestritten einen positiven Effekt.

Damals von einem echten Boom zu sprechen wäre wohl etwas übertrieben, aber: „Wir konnten unseren Sport vielen Menschen näherbringen, es wurde über Handball gesprochen.“ Mit den Fußballern oder Skifahrern brauche man sich hierzulande nicht zu vergleichen, hinter Eishockey aber hat sich Handball im heimischen Spitzenfeld etabliert. Dabei sind die finanziellen Mittel begrenzt, man schöpft auch keineswegs aus einem riesigen Talentepool. In Österreich spielen rund 8000 Männer und Frauen Handball. Zum Vergleich: In Norwegen sind es 80.000, in Dänemark sogar 120.000 Aktive.

Speziell in Skandinavien sind Tradition und Begeisterungsfähigkeit über Jahrzehnte gewachsen, werden Kinder früh an den Sport herangeführt und gefördert. „Dort ist Handball ein Volkssport, in Österreich ist er das nicht“, sagt Fölser. Ein Rundgang in der gewaltigen Fanzone in Herning, die direkt an die Halle angeschlossen ist, bekräftigt diesen Eindruck. Es gibt etliche Mitmachstationen, unzählige Fanartikel zu erwerben – und wenn wie nach dem Spiel des Gastgebers gegen Tunesien Samstagabend zwei dänische Teamspieler noch geduldig Autogramme schreiben, stehen Hunderte Fans Schlange, um ihren Stars näher zu kommen.

Nach der schmerzhaften Niederlage gegen Chile sollte Österreichs Handball aber nicht alles infrage stellen. Primäres Ziel bleibt es, den Rückstand auf die führenden Handballnationen kontinuierlich zu verkleinern. Das Gerüst der heimischen Auswahl bilden Legionäre, die meisten sind in Deutschland und der Schweiz engagiert. Wer es mit dem Handball ernst meint, der sucht den Weg ins Ausland. „Wir brauchen noch mehr Spieler, die wöchentlich auf Topniveau gefordert sind“, weiß Fölser.

Eine Liga im Niemandsland

In Österreich fehlt ein absoluter Topklub, ein Zugpferd, das regelmäßig im internationalen Geschäft vertreten ist und eine Anlaufstelle für die größten Talente des Landes darstellt. In der Klubrangliste der Europäischen Handballföderation (EHF) findet sich Österreich nur auf Platz 27 unter 50 Nationen, also jenseits der Wahrnehmungsgrenze, wieder. Der amtierende Meister Fivers Margareten verzichtete wie schon in den vergangenen Jahren aus finanziellen Gründen auf eine Teilnahme am Europacup. Der Weg ins Ausland ist praktisch alternativlos, „nur dort erlangst du die nötige Härte und Qualität, die es bei einer WM braucht“.

In Österreich Talente wie den seit Sommer 2016 beim deutschen Topklub THW Kiel beschäftigten Kapitän Nikola Bilyk (22) regelmäßig zu „produzieren“, sei illusorisch, sagt Fölser: „Im Fußball gibt es auch nicht in jedem Jahrgang einen Arnautović oder Krankl.“

ZUR PERSON

Der Oberösterreicher Patrick Fölser (42) trug 218-mal das Trikot des ÖHB-Teams, nach der EM 2014 beendete der Kreisläufer seine internationale Karriere. Seit August des Vorjahrs ist Fölser Sportdirektor des ÖHB. [ Sebastian Pucher/EXPA/picturedesk.com ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2019)

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