Bewegungsarme Kinder? "Beste Vorbildwirkung haben immer noch die Eltern"

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Engagierte Lehrer und die Organisatoren des Vienna-City-Marathons zeigen, wie spielerisch der Bewegungsarmut bei Kindern entgegengewirkt werden kann.

Kinder sind bewegungsärmer geworden, hört man nicht selten von Sporttrainern. Man kann beobachten, dass Kinder, die am Schulweg mit ihren Eltern vor Aufzügen warten, wo sie von der Technik direkt auf das Bahngleis gebracht werden, keine Einzelfälle sind. Da nehmen sie sogar Wartezeiten in Kauf, wenn ganz vorne in der Schlange Mütter mit ihren Kinderwägen stehen. Oftmals werden die Gesellschaft im Allgemeinen und die sozialen Medien im Besonderen dafür verantwortlich gemacht, dass Kinder heute keine Zeit mehr haben auf einen Baum zu kraxeln. Während in früheren Jahren nach der Schule der Ranzen in die Ecke flog und dort häufig bis zum nächsten Tag liegen blieb, um den Nachmittag mit Fußballspielen und anderen Sportarten auszufüllen, ist das heute eher die Ausnahme. Nur 17 Prozent der Schüler sind jeden Tag mindestens 60 Minuten körperlich aktiv, sagt eine Studie der deutschen Krankenkasse  DAK.

Kinderlauf seit 1990

Dennoch gibt es auch Gegenentwicklungen, die zeigen, dass Schüler noch für Bewegung zu motivieren sind. Eine solche sind die Rahmenveranstaltungen am Wiener Marathon-Wochenende. Die Veranstalter des Wien-Marathons(VCM) haben schon früh Laufbewerbe für Kinder in das Programm aufgenommen. "Wir haben als erster Marathonveranstalter in Europa 1990 einen Junior-Marathon über 4,2 Kilometer angeboten", sagt VCM-Ausrichter Wolfgang Konrad. "Wir wollten schon damals Kinder und Jugendliche für das Laufen begeistern, weil wir das als Investition in die Zukunft sahen", so der ehemalige Weltklasseläufer. Und die Rechnung ist  - zumindest für Konrad - aufgegangen. Seit den Anfängen standen insgesamt etwa 25.000 junge Läufer an einer der mittlerweile zahlreichen Startlinien des VCM.

Wurden die Nachwuchsläufe früher am Marathon-Sonntag kurz vor dem Start der Großen abgehalten, muss der Veranstalter mittlerweile aufgrund des hohen Andrangs auf den Samstag ausweichen. Heuer stehen am "Super-Samstag" mit Kinderlauf, Jugendlauf, Coca-Cola Inclusion Run, Vienna 10K und dem neuen Home Run fünf unterschiedliche Distanzen auf dem Programm. Am 6. April werden etwa 4500 bewegungshungrige Schüler erwartet.

"Gesellschaftspolitische Sache"

Dass Laufen neben dem sportlichen Effekt auch Gesellschaftsschichten verbinden kann, zeigt ein Integrationsprojekt, das vom VCM-Team unterstützt wird. Zwei Klassen der Neuen Mittelschule Koppstraße mit Lehrerin Olivia Zehetner, in der sich viele Schüler mit Migrationshintergrund befinden und drei Klassen der Volksschule Reisnerstraße mit Lehrerin Petra Huschauer, deren Kinder überwiegend in Wien aufgewachsen sind, spielen die Hauptrolle.

Die Schüler dieser gänzlich unterschiedlichen Schulen bestreiten nicht nur den Lauf am "Marathon-Samstag" miteinander, sondern halten auch eine gemeinsame Trainingseinheit als Vorbereitung auf diesen Lauf ab. Das Motto lautet, der Weg ist das Ziel. Dazu haben sich die etwa 100 Schüler im Wiener Leichtathletikzentrum  (LAZ) im Prater eingefunden. "Diese Zahl ist gerade noch bewältigbar, wir wollen keinen Massenauflauf", sagt Petra Huschauer, Lehrerin in der VS Reisnergasse in Wien und Mitinitiatorin dieses Projektes. Die Kinder freuen sich auf das Event, wie Huschauer überhaupt glaubt, dass die Kinder an ihrer Schule heute im Vergleich zu früheren Jahren nicht weniger Bewegung machen. "Das ist eine gesellschaftspolitische Sache", glaubt die Volksschullehrerin.

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Eltern als Multiplikator

Etwa 75 Prozent der Schüler vom "Come together" im Prater sind auch für einen der Schülerläufe am Marathonsamstag angemeldet. Dabei müssen auch die Eltern mitspielen uns die Volksschüler zum Start bringen. "Anders wäre das nicht machbar", weiß Huschauer aus Erfahrung. Wie überhaupt die Eltern eine tragende Rolle dabei spielen und mit ihrem Verhalten wesentlich dazu beitragen, ob Kinder Sport machen.

In der Gesellschaft wird fälschlicherweise Bewegung als öffentliche Aufgabe, also der Schulen, gesehen, sagt Gerhard Wehr, Mitorganisator des VCM. Die beste Vorbildwirkung als Multiplikator haben immer noch die Eltern. Sie entscheiden mit ihrer Freizeitgestaltung wesentlich mit, wo der Nachwuchs letztendlich landet. Wenn die Eltern keinen Zugang zur Bewegung haben und das Wochenende lieber vor dem Fernseher verbringen, ist die Ausgangssituation für diese Kinder schwieriger.  Betreiben die Eltern Sport, werden die Kinder neugierig.

Mohamed hilft einem Schüler aus Irland

Und letztlich habe der Sport neben der Bewegung auch eine wichtige soziale Komponente, sagt Wehr. Und erzählt von einer Geschichte, die sich vor zwei Jahren beim Schülerlauf des VCM zugetragen hatte. In einem Brief schrieb ihm später eine Mutter aus Irland. Ihr Sohn, der nur Englisch und Französisch spricht, hatte ebenfalls teilgenommen und sich über die 4,2-Kiliometer-Distanz ziemlich übernommen. Das Ziel beim Burgtheater schien für ihn unerreichbar, so die Mutter, die das ganze Geschehen mitverfolgte. Plötzlich kam ein etwa zehnjähriger Bub, der deutlich kleiner war als ihr Kind, von hinten herangelaufen und nahm ihren Sohn bei der Hand, gemeinsam liefen sie ins Ziel. Der damals Zehnjährige war Mohamed. Er ist Schüler der NWS Koppstraße 2 aus Ottakring.

Anhand dieses Beispiels sei bei einem späteren Besuch in der Ottakringer Schule den Schülern erklärt worden, dass es beim Laufen keine Unterschiede gebe. Im Gegenteil, Laufen und im weiteren Sinne Sport verbinde, so Wehr. Wir wollen Kindern zeigen, dass man nicht immer die Sprache des anderen sprechen müsse, sondern auch durch Taten helfen kann. Auch solche Geschichten schreibt der Marathon. 

VCM 2019 auf einen Blick

Sonntag, 7. April 2019
Marathon (IAAF Gold Label), Halbmarathon,
Staffelmarathon (Teams zu vier Personen)

Samstag, 6. April 2019
Vienna 10K, VCM Jugendlauf, VCM Kinderlauf, Coca-Cola Inclusion Run, Home Run
Pasta Party im Festsaal des Wiener Rathauses
Konzert in der Staatsoper (Schubert, Haydn) mit einem Ensemble der Wiener Philharmoniker

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