Der deutsche Sport wagt den Blick nach innen

Deutschland beginnt die historisch-kritische Aufarbeitung des staatlich geförderten Sportbetrugs.

Doping scheint in Deutschland von den ersten Nachkriegsjahren an eine ständige, zu Beginn zaghafte, schließlich staatlich geförderte Praxis im Spitzensport gewesen zu sein. Erst mit Aufputschmitteln (Metamphetaminen), Anfang der Siebziger schließlich mit Anabolika. In einer Studie hat ein Team der Universität Münster unter Leitung von Michael Krüger den Zeitraum von der Gründung der Bundesrepublik 1950 bis 1972 beleuchtet. Grundtenor der Studie: Die Dopingforschung und Dopingpraxis entstand und entwickelte sich dank des einschlägigen Interesses von Athleten und Ärzten.

Doping seit München 1972 in Thema. Im Vorlauf auf die Sommerspiele in München tauchte der Sportbetrug in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger. Als Chance und als Problem. Die ehrenamtlichen Funktionäre verloren an Einfluss, der Staat in der Gestalt zentraler Strippenzieher wie des damaligen FDP-Innenministers Hans-Dietrich Genscher, der das freilich bestreitet, brachte sich als Akteur ein. Der Spitzensport und speziell seine Erfolge bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften wurde zunehmend als imageträchtig genug eingeschätzt, um die Investition hoher Geldmittel und den Einsatz von viel Gehirnschmalz zu rechtfertigen. Der an der Berliner Humboldt Universität forschende Giselher Spitzer hat Doping in den Jahren 1972 bis 1989 erforscht. Der Zusammenhang von olympischer Leistungsbilanz und Förderentscheidungen sei „selbstverständlich Betrugsanlass“ gewesen, sagt Spitzer im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Einer der bemerkenswertesten Aspekte der deutschen Vergangenheitsbewältigung ist die Tatsache, dass sie von innen kommt. Der Deutsche Olympische Sportbund hat die Studien initiiert, das bezüglich Dopingforschung nicht gerade supersaubere Bundesinstitut für Sportwissenschaft hat sie in Auftrag gegeben.

Im Gegensatz zu dem, was mancher heimische Sportfunktionär der Öffentlichkeit weismachen will, ist Doping keine politische Erfindung, aber ein politisches Instrument. In Deutschland läuft langsam eine Diskussion an, die Förderentscheidungen von Medaillenbilanzen abzukoppeln. In Österreich ist hingegen genau die gegenteilige Tendenz zu beobachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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