Sebastian Vettel rechnete nach Lewis Hamiltons umstrittenem Sieg am grünen Tisch in Kanada frustriert ab.
Montreal/Wien. Auf den ersten Wutausbruch folgte bei Sebastian Vettel die traurige Erkenntnis. „Letzten Endes ist das nicht der Sport, in den ich mich verliebt habe, als ich noch Zuschauer gewesen bin“, sagte der Ferrari-Pilot. Im Grand Prix von Kanada hatte er zwar als Erster die Ziellinie überquert, auf dem Podest aber musste er Lewis Hamilton den Vortritt lassen. Der Grund: In der 48. Runde war der Deutsche nach einem Fahrfehler ins Gras abgekommen und gefährdete nach Ansicht der Rennkommissare bei der Rückkehr auf die Strecke seinen Mercedes-Rivalen. Dafür gab es eine Fünf-Sekunden-Strafe, der erste Saisonsieg war dahin.
„Sie stehlen uns das Rennen“, schimpfte Vettel noch im Boxenfunk und vertauschte nach dem Rennen kurzerhand die Platzierungsschilder der Autos. Nicht nur Motorsportprominenz wie Ex-Weltmeister Nigel Mansell oder MotoGP-Star Casey Stoner kritisierten die Juryentscheidung, auch viele Fans taten in Montreal ihren Unmut kund. „Die Leute sollten Lewis nicht ausbuhen, sie sollten diese komischen Entscheidungen ausbuhen“, sagte Vettel bei der Siegerehrung, zu der er erst verspätet aufgetaucht war.
„Ich wüsste nicht, was Sebastian in dieser Situation hätte anders machen können. Deshalb fechten wir die Entscheidung an“, erklärte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Nutznießer Hamilton äußerte nach seinem fünften Saisonsieg zwar Verständnis für Vettels Manöver („Ich hätte wahrscheinlich dasselbe getan“), sah die Strafe aber durch die Regeln gedeckt.
Seinem Frust über genau dieses Regelwerk ließ Vettel später in der Pressekonferenz freien Lauf. „Es geht nicht nur um diese Entscheidung“, so der 31-Jährige. Die heutige Formel 1 sei überreglementiert, das gehe bis zur Sprache im Funk. „Das tut den Leuten keinen Gefallen, das tut dem Sport keinen Gefallen“, monierte Vettel und trauerte ganz offen den alten Zeiten und vergangenen Größen nach. „Manchmal wünsche ich mir, dass ich einfach so gut bin wie sie, aber in ihrer Zeit fahre – nicht in meiner.“ (swi)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2019)