Startschuss zur Jagd auf die Champions

Die Vorhand kracht wieder, das Vertrauen scheint zurück: Thiem ist bereit für 2018.
Die Vorhand kracht wieder, das Vertrauen scheint zurück: Thiem ist bereit für 2018.(c) REUTERS (Edgar Su)
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Können Dominic Thiem, Alexander Zverev und Co. heuer den Sprung an die Spitze schaffen? Und wie stark kehrt Novak Djoković zurück?

Da waren sie wieder, jene außergewöhnlichen Schläge, „die Günter Bresnik da in der Südstadt angezüchtet hat“ (Jürgen Melzer). Dominic Thiem, Weltranglistenfünfter, ist gut in die Saison 2018 gestartet, nicht mehr und nicht weniger. Solider Service, geringere Fehlerquote von der Grundlinie als zuletzt. Seine Ausbeute bisher: ein Halbfinale in Doha, zu dem er wegen einer fiebrigen Erkältung nicht mehr antreten konnte, eine 3:0-Matchbilanz und noch kein Satzverlust.

Mit dem 24-jährigen Thiem, Grigor Dimitrow (26 Jahre, ATP-3.), Alexander Zverev (20, 4.), David Goffin (27, 7.), Jack Sock (25, 8.) und Pablo Carreño Busta (26, 10.) hat eine neue Generation das Kommando in den Top Ten übernommen, einzig auf Platz eins und zwei thronen immer noch Rafael Nadal, 31, und Roger Federer, 36. Bei den Australian Open, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, fällt morgen der Startschuss für die Jagd auf die Altstars.

Thiem hat die Schläge, die Fitness und den Willen, seine Generation an die Spitze zu führen. Ob es gelingt, hängt von einigen Faktoren in seinem Spiel ab. Schafft er es etwa, Rückschläge besser wegzustecken? Noch immer erscheint kein Bericht über ihn ohne Hinweis auf die Niederlage nach Zweisatzführung gegen Juan Martín Del Potro bei den US Open. Eine bittere Episode, aber eine nachvollziehbare. Nur was im Herbst folgte, war eine Abwärtsspirale, die drei Erstrundenniederlagen in Folge und eine Matchbilanz von 3:7 inkludierte. Ein mentaler Einbruch, und je mehr Thiems Umfeld das Gegenteil behauptete, umso offensichtlicher wurde er.

Kann er seine mentale Stärke zurückgewinnen und wieder Entscheidungssätze gewinnen? 2016 lautete Thiems Bilanz im dritten bzw. fünften Satz 22:3, 2017 war sie mit 7:12 klar negativ. Auch seinen Favoritenstatus könnte er besser nutzen, 2017 hat er in Sofia, Antalya und Washington als Topgesetzter das Viertelfinale verpasst.

Ist es möglich, über die Sandplatzsaison (April bis Mitte Juni) hinaus die Form zu halten? Knapp zwei Drittel seiner aktuellen Punkte hat Thiem auf Sand geholt, auf den Hartplätzen im Sommer in Nordamerika und im Herbst in Asien viele liegen gelassen.

Kann er gegen Angstgegner und die stärksten Aufschläger reüssieren? Die Bilanzen gegen Kevin Anderson (0:6, und eine Zweisatzniederlage Ende Dezember beim Einladungsturnier in Abu Dhabi), Milos Raonic (0:2), Jo-Wilfried Tsonga (0:2), Juan Martín Del Potro (0:3) und Tomáš Berdych (0:2) sind ausbaufähig. Der Schlüssel ist eine bessere Ausbeute beim Return (2017 gewann Thiem 25 Prozent aller Games als Rückschläger, der Topwert von Diego Schwartzman lag bei 35 Prozent) sowie ein eigener solider Service wie er sich heuer bereits angedeutet hat.

Mit David Goffin (ATP-7.) hat sich auch Thiems Dauerrivale (Bilanz 3:8) schon in blendender Form präsentiert und alle drei Einzel beim Hopman Cup gewonnen. Im Vorjahr in Melbourne behielt der Belgier einmal mehr die Oberhand, heuer treffen die gelegentlichen Trainingspartner frühestens im Halbfinale aufeinander. Thiems erster Schritt am Dienstag aber ist, in Runde eins seine 0:2-Bilanz (ohne Satzgewinn) gegen den Argentinier Guido Pella (ATP-56.) zu korrigieren.

Bisher nur einmal ins Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers geschafft hat es Alexander Zverev. Durchbricht er diesen Bann, gibt es keine Grenzen für den erst 20-jährigen Deutschen. Der 1,98-m-Mann hat an Muskelmasse zugelegt, sein körperlicher Aufbau folgt einem genauen Plan, die Probleme, über zwei Wochen hinweg in Best-of-five-Partien zu bestehen, sollten bald der Vergangenheit angehören. Weil die Motorik bei seiner Körpergröße aber leidet, wäre Zverev die größte Nummer eins der Tennisgeschichte (bisher Marat Safin, 1,93 m; die kleinste: Marcelo Rios, 1,75 m). Will er in Melbourne sein erstes Major-Viertelfinale erreichen, muss er wohl seinen Bruder Mischa (ATP-34.) und Novak Djoković (ATP-14.) verabschieden.


Neuanfang. Der ehemalige Weltranglistenerste aus Serbien will nach halbjähriger Verletzungspause an seine Glanzzeiten anknüpfen. Mit dabei in Australien hat er einen neuen Betreuerstab, darunter Ex-Profi Radek Stepanek, auch Teilzeitcoach Andre Agassi soll trotz einem Snowboardunfall anreisen. In seiner ersten Partie des Jahres hat Djoković, 30, den noch erkälteten Thiem in einem Schaukampf 6:1, 6:4 besiegt, der Österreicher aber habe „quasi aus dem Stand gespielt“, erklärte Coach Bresnik.

Die Gejagten in Melbourne sind die Vorjahresfinalisten. Und noch zeigen sie keine Anzeichen von Schwäche. Titelverteidiger Federer spielte beim Hopman Cup makellos, Nadal, heuer erstmals ohne Onkel Toni unterwegs, rang Thiem bei einem Testmatch in der Margaret-Court-Arena nieder. Zumindest von einem anderen Star droht vorerst keine Gefahr: Andy Murray wurde an der Hüfte operiert, will aber noch heuer zurückkehren. „Ich möchte spielen, bis mir meine älteste Tochter dabei zuschauen kann“, erklärte der 30-jährige Murray. Sophia ist knapp zwei Jahre alt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2018)

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