Dominic Thiem: Von Träumen und Prophezeiungen

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Österreichs bester Tennispieler kam seinem ersten Grand-Slam-Titel bei den French Open näher als im Vorjahr. Rafael Nadal aber blieb auch diesmal die einzige unüberwindbare Hürde - doch wie lange noch?

Dominic Thiem saß mit verschränkten Armen auf der Spielerbank des Court Philippe-Chatrier. Soeben hatte er das Finale der French Open gegen Rafael Nadal verloren, wieder einmal, wie schon im Vorjahr. Der 25-Jährige hielt für einige Momente inne. Es sind genau jene Momente, während denen sich Thiem wohl am liebsten im Pariser Sand vergraben würde. Die Erfahrung, ein Tennismatch verloren zu haben, schmerzt, vor allem dann, wenn es das bisher wichtigste der Karriere war. 3:6, 7:5, 1:6, 1:6 lautete das Ergebnis. „Das ist sehr hart", lautete der erste Kommentar von Thiem.

>>> Chronologie der Karriere von Dominic Thiem

Dominic Thiem war wie sein spanischer Widersacher mit sechs Siegen in dieses Endspiel vorgedrungen, im Halbfinale hatte der Niederösterreicher Novak Djokovic, die Nummer eins der Weltrangliste, in einem packenden und kräfteraubenden Fünfsatzmatch niedergerungen. Den Sieg über Djokovic am Tag zuvor hatte Thiem als „den vielleicht größten“ seiner Laufbahn bezeichnet. 26 Stunden später schwebte der Schützling von Nicolas Massu nicht mehr auf Wolke sieben, ganz im Gegenteil. „Das ist das Brutale an unserem Sport“, sagte Thiem. Vom Himmel in die Hölle.

Wenn die Rakete zündet

Doch der Weltranglistenvierte hatte sich nach seinem zweiten verlorenen Grand-Slam-Finale nichts vorzuwerfen. Er hatte alles versucht, großartiges Tennis gespielt, speziell in den ersten beiden Sätzen. Als Thiem auf 1:1 in Sätzen ausgeglichen hatte, war Nadal für einige Minuten in den Katakomben verschwunden, nach der Toiletten- und gedanklichen Verschnaufpause kehrte er, Zitat Thiem, „wie eine Rakete mit voller Kraft“ zurück. Der Spanier gewann die ersten elf Punkte im dritten Satz, zog rasch auf 3:0 davon, während Thiems Schläge an Niveau verloren. „Gegen viele andere Gegner ist das nicht so schlimm, gegen Nadal ist es das.“ 

Erst zu Beginn des vierten Satzes bekam der Österreicher wieder Zugriff auf dieses Match, fand sogar drei Breakchancen vor, die Nadal aber allesamt zunichte machte. Danach nahmen die Dinge ihren Lauf, der Mallorquiner war auf seinem Weg zu Titel Nummer zwölf nicht mehr aufzuhalten. Ob der fehlende Ruhetag - Nadal hatte sein Halbfinale gegen Roger Federer am Freitag beendet - eine entscheidende Rolle gespielt habe, wurde Thiem später gefragt. Der Unterlegene suchte nicht nach Ausreden, sagte: „Ich habe mich gut gefühlt, war voller Adrenalin, aber natürlich hat das Match gegen Djokovic Spuren hinterlassen, körperlich und mental.“ 

Nadal zu Thiem: „Du wirst irgendwann gewinnen“

Mit Nadal musste sich Thiem nicht irgendeinem Sensationsmann beugen, der die Tenniswelt urplötzlich auf den Kopf gestellt hat. Der 33-Jährige hält nun bei unglaublichen zwölf French-Open-Titeln, die Makellosigkeit seiner Finalbilanz in Roland Garros hat weiter Bestand. „Zwölf Finals, zwölf Titel - das sind verrückte Zahlen“, gestand auch Thiem. „Alle, die versucht haben, ihn zu schlagen, sind gescheitert.“

Dass er nach drei glatten Niederlagen gegen Nadal in Paris (2014, 2017, 2018) im vierten Anlauf seinen ersten Satz gewinnen konnte, bestätigte das rot-weiß-rote Aushängeschild aber zumindest auf seinem Weg. „Rafa und ich, wir sind im Vergleich zum Vorjahr beide besser geworden. Ich werde weiter versuchen, ihm näherzukommen.“ 

Nadal dachte in der Stunde des Erfolgs auch an Thiem. „Es tut mir leid, weil du es verdienst. Wenn ich gegen jemand verlieren wollen würde, dann gegen dich. Du bist ein harter Arbeiter und ein guter Mensch, und du hast immer ein Lächeln im Gesicht.“ Nadal flüchtete sich nicht in irgendwelche Floskeln, er sprach bloß ehrliche Worte, schätzt Thiem. „Ich bin mir sicher, du gewinnst dieses Turnier irgendwann.“ 

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