Sotschi 2014: Gigantismus prägt die Putin-Spiele

Sotschi 2014 Gigantismus praegt
Sotschi 2014 Gigantismus praegt(c) REUTERS (SERGEI KARPUKHIN)
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Ein Jahr vor Beginn der Winterspiele 2014 sind alle Sportstätten in Sotschi fertig. Doch fehlende Hotels, Verkehrsprobleme, Baulärm und explodierende Kosten trüben die Vorfreude.

Sotschi, eine Kleinstadt am Schwarzen Meer mit 343.000 Einwohnern, beschäftigt Russland. Es ist einer beliebtesten Kur- und Badeorte des Landes und die Stadt lockt oft auch mit attraktiven Preisen nicht nur die Privilegierten, sondern auch Familien aus der Mittelschicht an. Seitdem Wladimir Putin aber alles daransetzt, das Idyll in der Region Krasnodar mit den Winterspielen 2014 und einem Formel-1-GP ins weltweite Rampenlicht zu rücken, ist es mit der Zufriedenheit vorbei. Baulärm, Bagger, explodierende Kosten, Korruption und die wachsende Angst vor Terroranschlägen trüben die Stimmung am Schwarzen Meer.

„Die stecken sich das meiste Geld doch ohnehin nur wieder in die eigenen Taschen“, schimpft Ingenieur Wladimir, der in Sotschi geboren ist und die Region kaum noch wiedererkennt. „Schau doch mal, wie viele Nobelkarossen mittlerweile hier herumfahren“, sagt er und deutet auf unzählige mit verdunkelten Scheiben vor einem Hotel parkende Geländewagen. „Das ist furchtbar.“

Ist die Kluft zwischen Wohlstand und Armut in Russland ohnehin bereits eklatant, fehlt vielen Russen für die Investitionen in Sotschi mittlerweile vollkommen das Verständnis. 37,5 Milliarden Euro sollen die teuersten Winterspiele der Geschichte kosten, ein Vielfaches der anfangs kalkulierten Summe. Ein Jahr vor der pompösen Eröffnungsfeier macht aber nunmehr eine ganz andere Zahl die Runde: Russische Experten erwarten Gesamtkosten von zwei Billionen Rubel. Das sind 50 Milliarden Euro.

Nur als Vergleich: Österreichs Regierung beschloss für 2013 ein Gesamtbudget von 75 Milliarden Euro. Und die derzeit in Schladming laufende Ski-Weltmeisterschaft mutet mit Investitionen in Höhe von 400 Millionen Euro gegen Sotschi 2014 geradezu wie ein „echtes Schnäppchen“ an.
22.600 Arbeiter fehlten. Olympische Spiele wecken im Vorfeld zumeist weltweit die gleichen Reaktionen: Kritiker mobilisieren sich und bekritteln Bauten, Budget und Sinnhaftigkeit des Events. Die Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees loben ihr Produkt, die lokalen Veranstalter ebenso und letztlich läuft alles darauf hinaus, dass die Spiele trotzdem stattfinden. Mit den Leistungen der Sportler und dem Glanz der fünf Ringe sorgt das Spektakel für Aufsehen und im Nachhinein wird über Ausgaben, Effekte und Nachhaltigkeit kein einziges Wort mehr verloren.

95.000 Bauarbeiter sollten die komplette Infrastruktur – also alle Sprungschanzen, Türme, Bahnen, Eishallen, Pisten etc. – aus dem Boden stampfen. Dieses Monstervorhaben ist tatsächlich geglückt, alle Sportarten haben bereits ihre Generalproben absolviert. Beschwerden der Besucher gab es keine, deshalb ist OK-Chef Dmitri Tschernyschenko auch weiterhin im Amt.

OK-Vizepräsident Achmed Bilalow hingegen musste seinen Posten räumen. Putin war entsetzt darüber, dass zwei Skisprungschanzen erst mit zweijähriger Verspätung und siebenfachen Kosten fertig geworden waren. „Was? Am Anfang eine Milliarde und jetzt acht Milliarden? Das habt ihr fein gemacht, ihr seid echte Prachtkerle.“

22.600 der verlangten 95.000 Arbeiter traten ihren Dienst nie an, alle anderen mussten ihre Jobs übernehmen. So ist schnell erklärt, warum Zeitverzögerungen und steigende Kosten Putin erzürnen. 24 von 43 Hotels, die während der Spiele vom 7. bis 23. Februar 2014 Besucher beherbergen sollen, sind noch immer nicht fertig.

Die Zeit bis zur Eröffnungsfeier wird nach Ansicht der Experten knapp. Es wird sich trotzdem ausgehen, selbst wenn fünf Minuten vor Beginn die letzte Schraube festgezogen wird, sagt Tschernyschenko und wischt auch etwaige Verkehrsprobleme zwischen Sotschi, dem von der Strabag in Adler für 62 Millionen Euro gebauten Flughafen, den Sportstätten in den Bergen und dem Stadtzentrum beiseite.

Das Bahnprojekt sei dafür auf Schiene. Man muss nicht mit dem Auto zur Piste fahren, sondern kann auch den Zug nehmen. 45 Kilometer weiter im Kaukasusgebirge bei Krasnaja Poljana haben Gondeln zu den alpinen Wettkampfstätten längst ihren Betrieb aufgenommen. 40 Seilbahnen lieferte die Vorarlberger Firma Doppelmayr.


Welcome to Rosa Khutor. Sorgen respektive einen Hauch von Schadenfreude bereitet Skeptikern das milde Wetter. Im Skiresort Krasnaja Poljana, es liegt etwa 40 Kilometer oberhalb von Sotschi, herrschen mitunter im Winter Plusgrade. „Olympia findet bei jedem Wetter statt“, wiegelt Tschernyschenko ab und lacht. „Egal, ob es schneit oder nicht. Sotschi ist das Schaufenster für ein neues Russland.“ Das mag angesichts der gigantischen Pläne stimmen, doch ein gewisses Unbehagen scheint ihn zu plagen. Also wurden gleich 430 Schneemaschinen angeschafft...

Auch Österreichs Olympier waren beim Start des Einjahres-Countdowns in Sotschi vertreten. Generalsekretär Peter Mennel war von den Gegebenheiten begeistert und sprach offen von ersten Ideen, das Österreich-Haus vielleicht in Rosa Khutor, am Ende der Bahnstrecke, errichten zu wollen.

Österreichs Team, mit sechzehn Medaillen (4 x Gold, 6 x Silber, 6 x Bronze) Neunter im globalen Wettstreit von Vancouver, will 2014 als Wintersportnation erneut reüssieren. „Wir haben uns auch Sportstätten an der Küste angeschaut. Es schaut alles sehr, sehr gut aus“, sagte Mennel. „Auch die Zimmer vom olympischen Dorf haben wir begutachtet. Unser Eindruck? Sie sind großzügiger als in London.“


Ein Disneyland? Am Freitag wurden auch Details zu den Eintrittspreisen bekannt. Ein Ticket für die Eröffnungszeremonie koste umgerechnet 147 Euro, verriet Tschernyschenko. Eine Karte für das Eishockey-Finale ist – im offiziellen Verkauf – für 172 Euro zu erwerben. In Vancouver waren es um knapp 50 Euro mehr. „Ja, das ist um ein Drittel billiger als bei den Spielen in Kanada“, rühmt sich Tschernyschenko. Der Mindestpreis für ein Ticket in Sotschi werde zwölf Euro betragen und damit soll gewährleistet werden, dass „möglichst viele Sportfreunde“, so der Russe, nach Sotschi kommen. 185 Millionen Euro sollen über den Ticketverkauf eingenommen werden.

Über Umweltsünden, Zwangsumsiedlungen, Ausbeutung, Kosten und Korruption verlor er kein Wort und es passt in das Erscheinungsbild, das Sotschi in und außerhalb Russland generieren will: Es soll eine Art Disneyland für Wintersport sein, zwar im Nirgendwo, aber ob der Nähe zum Schwarzen Meer mit Sommerflair geschmückt.

Auf zu kritische Berichterstattung wurde bislang vom Organisationskomitee passend reagiert: Erstmals stehe WLAN bei Olympischen Spielen kostenlos in allen Hotels und Pressezentren zur Verfügung. Auch die Preise in den Medienhotels (ab 176 Dollar; 150 Euro pro Nacht) wurden tunlichst moderat gehalten.

Und dennoch, ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht: Die Zeitung „RBC Daily“ berichtete am Donnerstag vom anhaltenden Widerstand der Umweltschützer. Die Aktivisten der „Umweltwache Nordkaukasus“ hätten sich in Stellung gebracht und zum Boykott der Spiele aufgerufen. Auch seien Touristen angehalten worden, keinerlei Merchandising-Produkte zu kaufen. Zudem sollen alle Umweltsünden penibel aufgelistet werden, vorrangig aber stoßen sich die Umweltschützer an den neuen Auto- und Bahnstrecken, die zu den Spielstätten führen. Und einem Kraftwerksbau, der ohnehin nicht bis zu den Spielen fertig werden dürfte.


Echte Russen jammern nicht. Der Sport steht 2014 im Vordergrund, auch der G8-Gipfel wird in Sotschi stattfinden und zeigen, wie sicher die Region in der Nähe des islamisch geprägten Nordkaukasus und Abchasiens wirklich ist. Zudem sollen Formel 1 und die Fußball-WM 2018 mit Gruppenspielen lang anhaltenden Glanz garantieren.

Zehn Jahre dauerte die Vorbereitung auf „das wichtigste Ereignis des Planeten“, sagt Tschernyschenko. Was danach in Sotschi geschehen wird, blieb unbeantwortet. Für Russland und viele seiner Einwohner ist es auch nicht weiter von Belang. „Die milde Luft, der Blick über das Meer, das ist toll“, schwärmt Maxim, 37, ein Tourist aus Moskau, der den Baulärm nonchalant überhört. Echte Russen jammern nicht, sagt er. „Ich bin stolz, dass die ganze Welt 2014 auf uns schauen wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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