Lukas Müllers Kulm-Sturz: „Spricht einiges für Arbeitsunfall“

Lukas Müller stellt sich neuen Herausforderungen, muss jedoch zuerst eine Entscheidung der Höchstrichter abwarten.
Lukas Müller stellt sich neuen Herausforderungen, muss jedoch zuerst eine Entscheidung der Höchstrichter abwarten.(c) imago/Eibner (EIBNER/EXPA/Juergen_Feichter)
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Lukas Müller stürzte als Vorspringer der Skiflug-WM 2016 schwer. Höchstgericht muss über Versicherungsschutz entscheiden.

Lukas Müller kann bei der heute beginnenden nordischen WM in Seefeld nur als Zuschauer dabei sein. Der 26-jährige Kärntner ist seit einem verhängnisvollen Sturz vor drei Jahren am Kulm inkomplett querschnittgelähmt. Während in Seefeld die Athleten gegeneinander antreten, ist Müllers Fall Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung: War sein Sturz ein Arbeitsunfall, für dessen Folgen die AUVA aufkommen muss, oder glich er einem Freizeitunfall, wie der Österreichische Skiverband vermeint?

Müller hatte sich als Vorspringer der Skiflug-WM auf dem Kulm eine Wirbelsäulenverletzung zugezogen. Er benützt seither einen Rollstuhl und kann – mit Krücken – nur wenige Schritte gehen. Sein Temperaturempfinden ist von der Brust abwärts gestört. Müllers Anwalt, Felix Ermacora, will für ihn erreichen, dass der Sturz als Arbeitsunfall anerkannt wird, damit der ehemalige Sportler und nunmehrige Vermögensberater finanziell besser unterstützt wird.

Gericht entschied gegen Müller

Die Kärntner Gebietskrankenkasse anerkannte zunächst Müllers Eigenschaft als Dienstnehmer, aber der ÖSV widersprach und rief das Bundesverwaltungsgericht an. Dort musste Müller eine Abfuhr hinnehmen. Das Gericht hat allerdings ausdrücklich eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zugelassen, der nun eine für den Sport richtungweisende Entscheidung zu treffen hat.

Ausschlaggebend für die Einordnung als Arbeits- oder Freizeitunfall ist die Frage, ob der verunglückte Sportler als Angestellter oder als Selbstständiger aufgetreten ist. Während der VwGH für Fußballer als Mannschaftssportler schon vor Jahrzehnten klargestellt hat, dass sie bei der Ausübung ihres Sports als Dienstnehmer gelten, fehlt für Skifahrer oder Skispringer bisher eine solche Klärung.

Anwalt Ermacora argumentiert mit dem 600-Euro-Gehalt, das Müller für seinen Auftritt erhalten hat: Das liege über der Geringfügigkeitsgrenze, „sodass wir schon aus diesem Grund der Meinung sind, dass es versicherungspflichtig ist“, sagte Ermacora in der ORF-Sendung „Thema“. Ferner sei Müller in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Veranstalter gestanden, sodass er nicht mehr frei habe entscheiden können, was er tat. „Das Dritte ist, dass ihm die Betriebsmittel zur Verfügung gestellt wurden, und hier vor allem die Skisprungschanze“, so Ermacora.

Für Wolfgang Brodil, Professor für Arbeits- und Sozialrecht und Leiter der Forschungsstelle Sportrecht der Universität Wien, ist die Argumentation mit der Schanze nicht ganz überzeugend: Für einen Künstler, der auf einer Bühne auftrete, sei diese auch nicht gleich ein Betriebsmittel, sagt Brodil zur „Presse“. Eher zählt für ihn der „Weisungszusammenhang“, in dem Müller damals gestanden sein müsse. Etwa, indem er nur dann habe springen dürfen, wenn der Schanzenchef die Schanze freigab. Auch habe Müller sich nicht vertreten lassen können, was ebenfalls für eine Beschäftigung in einer zumindest dienstnehmerähnlichen Stellung spräche.

Brodil fühlt sich an den Fall Vanessa Sahinovic erinnert, jene ehemalige Synchronschwimmerin, die bei den Europaspielen 2015 in Baku von einem Shuttlebus angefahren und schwer verletzt wurde. Sahinovic ist ab dem zwölften Brustwirbel abwärts gelähmt. In ihrem Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die Eigenschaft als Dienstnehmerin festgestellt. Die damals verfahrensbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse hat, wohl auch unter dem Druck der Öffentlichkeit, kein Rechtsmittel ergriffen, sodass am Ende die AUVA für den Arbeitsunfall zahlen musste.

ÖSV bricht sein Schweigen

„Im Lichte dieser Vorentscheidung spricht einiges dafür, dass Müller in einem dem ASVG unterliegenden Dienstverhältnis gestanden ist“, sagt Brodil. Ohne den gerichtlich festgestellten Sachverhalt genau zu kennen, vermag der Experte aber nicht zu beurteilen, warum das Bundesverwaltungsgericht diesmal anders entschieden hat. Nun gelte es, die Entscheidung des Höchstgerichts abzuwarten. Dessen Tendenz, in Zweifelsfällen für die Dienstnehmereigenschaft zu entscheiden, sei aber bekannt.

Der ÖSV wies in einer Stellungnahme am Nachmittag auf eigene Bemühungen in der Causa hin. "ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat Müller kurz nach seinem Unfall im Jahr 2016 die bestmögliche Unterstützung zugesagt - und sein Versprechen auch eingehalten", schrieb der ÖSV im Hinblick auf eine private Unfallversicherung sowie eine Unfallentschädigung aus einer FIS-Versicherung.

"Lukas Müller war als Vorspringer Teilnehmer der Veranstaltung ohne Wertung (laut FIS) und damit privat unfallversichert. Er erhielt nach seinem tragischen Unfall 480.000 Euro aus der ÖSV-Versicherung überwiesen", wurde Schröcksnadel zitiert. "Der ÖSV hat sich auch bei der FIS dafür eingesetzt, dass Lukas Müller die maximale Versicherungssumme zugestanden wird. Er hat einen Anspruch auf eine Unfallentschädigung aus einer FIS-Versicherung im Umfang von 350.000 Schweizer Franken (rund 308.000 Euro, Anm.). Der ÖSV verlangt von allen Sportlern, die an internationalen Bewerben teilnehmen, den Nachweis einer angemessenen Unfallversicherung".

Für den ÖSV sei es zudem "ein Gebot der Höflichkeit und des Respekts den Gerichten gegenüber, sich zu laufenden Verfahren nicht wertend zu äußern", hieß es in dem Schreiben, in dem der Verband auch betonte: "Der ÖSV ist nicht Partei des Verfahrens, sondern die Austria Ski WM und Großveranstaltungs Ges.m.b.H als Veranstalterin der Skiflug WM 2016."

(kom/age)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2019)

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