Nordische WM: Lahti – wenn das Blut gefriert

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100 Jahre Unabhängigkeit, siebente WM in Lahti, 150.000 Zuschauer – und dennoch leidet die finnische Seele unter Doping und Kälte.

Lahti/Wien. „Suomalaiset voittaa aina“ – Finnen gewinnen immer, so lautet ein Sport-Motto im Hohen Norden. Nur ob es auch bei der diesjährigen Nordischen WM gelingen wird, ist fraglich. Ab heute wird jedenfalls in Lahti, knapp 100 Kilometer nördlich von Helsinki entfernt, gelaufen, gesprungen und kombiniert – über 700 Athleten aus 60 Ländern treffen sich in Finnlands Schanzen- und Loipenhochburg bei der bereits siebenten WM, die in der 120.000-Einwohner-Stadt am Vesijärvi-See stattfindet. Das ist nicht nur Rekord, sondern auch ein dringend benötigter Impuls für die Wiederbelebung der Szene; passend zum 100-Jahre-Jubiläum der finnischen Unabhängigkeit.

Langläufer wurden in Finnland verehrt wie Skifahrer in Österreich. Suomi-Skispringer waren nicht bloß Adler, sondern „Königsadler“ – doch seit dem Dopingskandal bei der Heim-WM 2001 erlebte der nordische Sport Finnlands einen ungeheuren Niedergang. Die Stars waren gedopt, es hatte System mit Wissen der Trainer, Ärzte, Funktionäre. Jahrelang wurde betrogen, bis 2001 eine Tasche voll Blutbesteck bei einer Tankstelle vergessen wurde und eine schonungslose Aufklärungsarbeit begann. Die Folgen? Sponsoren liefen weg, Talente sprangen ab.

Zwei goldene Notnägel

In der Gegenwart gibt es keine Seriensieger oder Überflieger mehr. Erben für Legenden wie Matti Nykänen, Jari Puikkonen oder Harri Kirvesniemi sind keine in Sicht. Mit dem Steirer Andreas Mitter versucht zwar ein Skisprung-Trainer seit Saisonbeginn sein Bestes, doch Medaillen werden auch ihm bei dieser WM nicht gelingen.

Zu zerfahren und zerstritten war die Szene, gleiches galt für die Kombination – also reaktivierte Finnland zwei Altstars, um zumindest einen Hauch von Glorie zu versprühen. Für den Ticketverlauf – 150.000 Karten wurden abgesetzt –, waren Janne Ahonen, fünfmaliger Tourneesieger, und Hannu Manninen, viermaliger Kombinierer-Champion, hilfreich. Doch dass ein 39-jähriger Familienvater und ein 38-Jähriger, der seit sechs Jahren nur noch als Finnair-Pilot unterwegs war, plötzlich Sieger werden, scheint ausgeschlossen.

Somit liegt es an den Langläufern, den Karren aus der Loipe zu führen. Vor allem die Damen begeistern und sind, entgegen aller anderen, in Medien zu finden. Wurde rund um die Weltcup-Berichterstattung auf ein Minimum reduziert, erleben die Langläuferinnen ein absolutes Hoch. Dank Krista Parmakoski, Zweite bei der Tour de Ski, oder Kerttu Niskanen, Anne Kyllönen und Laura Mononen sind vier Starterinnen in den Top 12 der Welt. In der Staffel, im Teamsprint und allen Klassikdistanzen ist Edelmetall in Reichweite. Biathlon-Star Kaisa Mäkäräinen sagte ihre Teilnahme aber ab, sie jagt lieber Kristall als Gold.

Man vergisst und improvisiert

Dass mit Virpi Kuitunen eine Dopingsünderin von einst jetzt als TV-Kommentatorin von der WM berichtet, wirkt grotesk. Hinterfragt wird es nicht, Finnen sind zwar schweigsam, aber durchaus dazu in der Lage, zu verzeihen bzw. zu vergessen. Also darf auch Harri Kirvesniemi mitarbeiten, er ist über die Skifirma Karhu weiterhin mit dem Sport verbunden.

Geht es um Langlauf, ist man in Lahti stets bereit, Grenzen je zu verschieben. Der bisherige Winter hat sich in Lahti als einer der mildesten und schneeärmsten seit Jahrzehnten präsentiert. 100.000 Kubikmeter Kunstschnee wurden erzeugt. Unvergessen bleibt allerdings die klirrende Kälte der WM 2001 mit bis zu minus 30 Grad. Ab minus 20 Grad dürfen laut Weltverband FIS keine Rennen mehr stattfinden, der Lauf über 30 Kilometer wurde abgesagt. Danach fand aber alles nach Fahrplan statt; das offizielle Thermometer wurde vor der Kontrolle nicht nur mit Sonnenstrahlen bedacht . . .

Wie gefährlich das war, erlebte Achim Walcher in der Staffel am eigenen Leib. Der Steirer zog sich bei (angeblichen) -16 Grad Frostbeulen an drei Fingern zu.

Österreichs WM-Team

Skispringen, Herren: Stefan Kraft, Michael Hayböck, Manuel Fettner, Andreas Kofler, Markus Schiffner, Gregor Schlierenzauer. – Frauen: Chiara Hölzl, Daniela Iraschko-Stolz, Jacqueline Seifriedsberger.
Kombination: Wilhelm Denifl, Bernhard Gruber, Philipp Orter, Mario Seidl, David Pommer, Paul Gerstgraser, Franz Rehrl.
Langlauf,Herren: Dominik Baldauf, Max Hauke, Luis Stadlober, Bernhard Tritscher, Niklas Liederer. – Frauen: Teresa Stadlober, Anna Seebacher, Lisa Unterweger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2017)

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