Online-Plattformen sind in der EU künftig für die Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer haftbar. Der Weg für strittige "Zensurmaschinen" ist damit frei. Facebook und Google trifft das kaum. Die Internetnutzer und potenzielle Mitbewerber hingegen voll.
War das schon das „Ende des Internets“ wie wir es kennen? Genau davor haben Internetaktivisten und manche Medien zumindest seit Wochen gewarnt, falls der Rechtsausschuss des EU-Parlaments die umstrittene Copyright-Reform der Europäer durchwinken sollte. Am gestrigen Mittwoch ist es passiert. Der Weg für die berüchtigten „Zensurmaschinen“ im Netz scheint frei.
Aber warum ist das so? Im Gesetzestext kommen die umstrittenen Filtereinrichtungen gar nicht vor. Dafür steht dort festgeschrieben, dass in Hinkunft die Online-Plattformen für die Inhalte verantwortlich sind, die ihre Nutzer hochladen. Künftig sind YouTube und Facebook voll haftbar, wenn ihre Mitglieder zum Beispiel ein urheberrechtlich geschütztes Video ins Netz stellen. Die Plattformen müssen die Inhalte nicht nur löschen, sondern sich auch darum kümmern, dass sie gar nicht erst auf ihrer Seite landen. Und das lässt sich nur mit Filter-Software lösen, die unerwünschte Inhalte vorab automatisch aussortiert.
Innovation wird untergraben
Die Sorge der Internetaktivisten: Stimmt auch das EU-Parlament dem Vorschlag wie erwartet zu, werden die „Zensurmaschinen“ das Internet von einer offenen Plattform für Ideen zum Werkzeug zur systematischen Überwachung der Bürger umbauen. Alles, was in Zukunft in der EU ins Netz geladen wird, müsse zuerst den Filter passieren. Und so ausgefeilt die Software auch sein mag, fehlerfrei ist sie in keinem Fall, zeigt die bisherige Erfahrung. Experten erwarten, dass Plattformen im Zweifel lieber legale Inhalte – wie etwa Parodien – wegzensieren werden, um sich teure Schadenersatzklagen zu ersparen. Nur nichtkommerzielle Anbieter wie Online-Lexika oder wissenschaftliche Archive sind von der Regelung ausgenommen.
Die Reform des EU-Urheberrechts ist ein weiterer Versuch der Politik, mehr Kontrolle über einen Sektor zu erlangen, der auf Kosten Anderer enorme Gewinne anhäuft und zudem viel Marktmacht in wenigen Händen vereint. „Diese Plattformen monopolisieren den Zugang zu künstlerischen Werken“, argumentiert Veronique Desbrosses von Gesac, einer Dachorganisation der europäischen Autoren. „Und sie bezahlen die Urheber nicht fair“.
Die Umverteilung von Google und Co. zu den Künstlern könnte mit der Reform zumindest vorangetrieben werden. Googles Tochter YouTube nutzt schon seit einiger Zeit einen Upload-Filter und hat deshalb in den vergangenen Jahren zwei Milliarden US-Dollar an Lizenzgebühren bezahlt.
Doch an den Kern des Problems, die Marktmacht der Internetgiganten, kommt die EU mit ihrem Vorstoß nicht. Im Gegenteil: Bestehende Monopole würden sogar bevorzugt, argumentiert Lukas Feiler von Baker McKenzie. „Upload-Filter sind an sich eine naheliegende Idee“, sagt er zur „Presse“. „Ihr größtes Manko ist aber die enorme Wettbewerbsverzerrung, die sie mit sich bringen.“ Denn während Branchenführer die notwendigen Software-Filter aus der Portokasse zahlen, könnten Neuankömmlinge auch an einer Investition von 50.000 Euro scheitern. „Hier wird Innovation untergraben“, so Feiler.
„Eine legistische Posse“
Ebenfalls beschlossen wurde ein fünfjähriges Leistungsschutzrecht für Verlagshäuser. Demnach sollen Internetseiten künftig dafür bezahlen, wenn sie Ausschnitte von urheberrechtlich geschützten Texten verbreiten. Nichtkommerzielle Nutzung ist ausgenommen, aber schon Blogger, die über Werbung Geld verdienen, dürften künftig nur gegen Bezahlung Passagen aus Zeitungsartikeln veröffentlichen.
Für Lukas Feiler ist das nicht mehr als eine „legistische Posse“. Spanien und Deutschland seien mit ähnlichen Versuchen gescheitert. Die Verlagshäuser beugten sich dem Druck der großen Internetseiten, und gaben ihre Inhalte zumindest teilweise frei, um weiter im Netz gefunden zu werden.