Stille Rückkehr der Vorratsdatenspeicherung

Der Staat darf nicht wahllos Daten von Telefonnutzern sammeln. Die EU-Kommission soll nun Ausnahmen davon ausloten.
Der Staat darf nicht wahllos Daten von Telefonnutzern sammeln. Die EU-Kommission soll nun Ausnahmen davon ausloten.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bürgerrechte. Zu Jahresende wird feststehen, ob die EU einen neuen Anlauf für das Sammeln von Telekomdaten startet.

Brüssel. Die neue Europäische Kommission ist noch nicht bestellt, doch die Regierungen der Mitgliedstaaten halten für sie bereits ein heißes politisches Eisen bereit. Bis Jahresende soll die Kommission nämlich „mögliche Lösungen für die Vorratsspeicherung von Daten, einschließlich einer etwaigen künftigen Gesetzgebungsinitiative“ prüfen. Das beschlossen die Justizminister der 28 Staaten vergangenen Donnerstag beim Ratstreffen in Luxemburg.

Der Wille der Regierungen ist klar, für sie ist der Auftrag an die Kommission nicht ergebnisoffen. Sie wollen fünf Jahre nach der Aufhebung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung durch den Gerichtshof der EU (EuGH) eine neue, unionsweite rechtliche Grundlage dafür, Telefonnetzbetreiber und Internetdienstleister zur Sammlung von bestimmten Daten ihrer Kunden in Bausch und Bogen verpflichten zu können.

„Starker politischer Wille“

„Die Beratungen haben gezeigt, dass bei den Delegationen ein starker politischer Wille besteht, weiter auf eine Lösung für die Herausforderungen hinzuarbeiten, die sich aus dem Fehlen einer Regelung zur Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene ergeben“, heißt es in den Schlussfolgerungen der Justizminister. Dafür sollten die Grundsätze „der Zweckbeschränkung, der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit“ gelten.

Vorratsspeicherung von Daten bedeutet, die Telekomunternehmer ohne konkreten Verdacht gegen konkrete Personen zur pauschalen Speicherung der Daten von Ort, Zeit, Dauer, Teilnehmer und Art eines Telefongesprächs oder einer Nachricht zu verpflichten (um den Inhalt, also das Geschriebene oder Gesprochene, geht es nicht).
Seit April 2017 grübeln die EU-Regierungen darüber, wie sich etwas organisieren lässt, das der Grundrechteprüfung des EuGH standhielte. Doch so klar ihr Bestreben auch ist: Die Chancen auf eine derartige Lösung stehen schlecht.

„Wenn nicht gar unmöglich“

Wie schlecht, lässt sich in einem vertraulichen, von der Nachrichtenwebseite Netzpolitik.org veröffentlichten Dokument nachlesen, das am 23. November 2018 vom österreichischen Ratsvorsitz verfasst wurde und das Ergebnis des Nachdenkens der 28 Regierungen resümiert. Die Fachbeamten stellten vier Lösungsansätze zur Debatte, um den vom EuGH geforderten Grundrechtsschutz zu garantieren. So könnte man erstens die Kategorien der zu speichernden Daten beschränken, zweitens die Speicherdauer, drittens die Speicherung der Daten auf EU-Gebiet vorschreiben und viertens die Verschlüsselung der gespeicherten Daten anordnen.

Doch keiner dieser vier Ansätze scheint aus Sicht der Regierungen das Problem lösen zu können. Die Einschränkung der Datenkategorien von vornherein sei „schwierig, wenn nicht gar unmöglich“ und würde sich „nachteilig auf die Wirksamkeit strafrechtlicher Ermittlungen auswirken“. Die Befristung der Speicherdauer wiederum scheine „im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH ein weniger kritisches Thema zu sein“. Zwölf Monate seien nach überwiegender Ansicht der nationalen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls notwendig. Doch weist das Papier gleichzeitig daraufhin, dass der EuGH verlangt, dass „die vorgesehene Dauer der Vorratsspeicherung auf das absolut Notwendige beschränkt sein muss“. Sind zwölf Monate „absolut notwendig“? Gewissheit darüber konnten die Diplomaten nicht schaffen.

Auch die vom EuGH ausdrücklich festgehaltene Pflicht zur Speicherung der Daten auf Servern, die in der EU liegen, bereitet den Mitgliedstaaten Probleme: Viele handhaben das schon so, manche jedoch warnen vor der „unterschiedlichen Behandlung in- und ausländischer Anbieter“, heißt es in dem Dokument. Fazit: „Folglich divergieren die Standpunkte.“
Besonders beachtlich sind, im Lichte der zahlreichen Fälle bösartiger Hackerangriffe auf staatliche Datenbanken und IT-Systeme, die Ausführungen zur Frage einer möglichen Pflicht zur Verschlüsselung der zu speichernden Daten. Sie scheine „bei der Ermittlung spezifischer Anforderungen an eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung keine vorrangige Frage zu sein“.

Auf einen Blick

Der Gerichtshof der EU erklärte 2014 die EU-Richtlinie über Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig, zwei Jahre später kippte er auch nationale Gesetze. Schon im Jahr darauf begannen die nationalen Regierungen im Rat darüber zu verhandeln, wie zwecks Strafverfolgung im Lichte dieser Urteile Daten elektronischer Kommunikation auf Vorrat gesammelt werden können. Die EU-Kommission soll nun bis Ende 2019 einen Bericht darüber vorlegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2019)

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