Wikipedia: Weltbibliothek soll in allen Sprachen erscheinen

(c) APA (Bendikt Löbell)
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Jimmy Wales macht Enzyklopädie benutzerfreundlicher. Entwicklungs-Potenzial sieht der Gründer von Wikipedia bei den afrikanischen Sprachen, die derzeit eines sind: unterrepräsentiert.

Wien (nst). An den ersten in Wikipedia publizierten Artikel kann sich Jimmy Wales, Erfinder der freien Enzyklopädie, nicht mehr erinnern, aber an die ersten beiden, wenn auch simplen Wörter schon: „Hello World.“

Seit damals, seit Gründung der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia, sind fast genau acht Jahre vergangen. Heute gehört das Online-Lexikon mit rund 250 Millionen Besuchern pro Monat zu den weltweit am häufigsten gelesenen Internet-Seiten der Welt. Sogar die traditionsreiche Brockhaus-Enzyklopädie hat Wikipedia das Fürchten gelehrt. Vor rund einem Jahr kamen Gerüchte auf, wonach es ungewiss sei, ob die 30-bändige Auflage noch einmal in Print oder nur mehr in einer Online-Version erscheinen werde. Auch heute kann man bei Brockhaus noch nichts Genaues sagen. „Es ist zu früh, um zu entscheiden, ob es wieder eine Druckauflage geben wird“, heißt es aus dem Verlag.

Abseits des bahnbrechenden Erfolgs seiner „freien Software“, wie Wales seine Enzyklopädie auch bezeichnet, wünscht er sich für die kommenden zehn Jahre vor allem eines: dass die Weltbibliothek in allen Sprachen erscheine und mit je 250.000 Artikeln gefüllt werden könne. Entwicklungspotenzial sieht er bei den afrikanischen Sprachen, die derzeit eines sind: unterrepräsentiert. In Afrikaans (einer Amtssprache Südafrikas) seien etwa 10.000 Artikel verfügbar, in Suaheli (einer ostafrikanischen Sprache) dagegen schon 110.000. Dennoch sei Wales, wie er sagt, kein Befürworter dessen, für jeden Dialekt eine eigene Sprachversion anzulegen, aber „manchmal kann das einer Volksgruppe dazu dienen, ihre Sprache zu bewahren“. Ihr offizieller Gebrauch sei nicht selten abhängig von politischen Verhältnissen.

Weiblicher und freundlicher

Wikipedia soll früher oder später etwas weiblicher werden. Kolportierte 80 Prozent der Verfasser von Artikeln seien derzeit männlich. Woran das liegt, wisse Wales selbst nicht. Auch investiere er 950.000 Dollar in eine frauen- und benutzerfreundlichere Plattform. „Wikipedia soll ein Forum sein, dem sich jeder, unabhängig von Geschlecht und Alter, widmen kann und soll.“

Dennoch hat Wikipedia nach wie vor mit einem Problem zu kämpfen: der Richtigkeit von Artikeln. Im Mai des Vorjahres wurden für die deutsche Version zu Kontrollzwecken „flagged revisions“ installiert. Die Artikel werden erst nach deren Überprüfung freigeschaltet. Das habe allerdings oft zur wochenlangen Verzögerung bei der Publikation von Artikeln geführt. „Der englischen Community würde das zu lange dauern, die Deutschen haben damit kein Problem. Sie scheinen genauer zu sein“, sagt Wales. „Wir wollen hingegen auch nicht, dass alle Artikel kontrolliert werden.“ In Anbetracht der Vielzahl von Einträgen, mit Stand Jänner dieses Jahres sind mehr als zehn Millionen Artikel online, wäre das gar nicht möglich. Ob Wikipedia je ertragreich wirtschaften wird, bezweifelt er. Wales will das viel gepriesene „Rote Kreuz der Information“ bleiben.

Auf einen Blick

Jimmy Wales hat 2001 gemeinsam mit Larry Sanger die Internet-Enzyklopädie Wikipedia gegründet. Wales studierte Finanzwissenschaften, zudem war er Broker an der Chicagoer Börse. Wikipedia erscheint in 260 Sprachen und gehört mit rund 250 Mio. Besuchern pro Monat zu den weltweit meistgelesenen Seiten. Die deutsche Version ist mit 857.844 Artikeln die zweitgrößte, hinter der englischen Ausgabe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2009)

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