Windows 8 im Test: Schmerzhafter Spagat für alte Fans

Windows Test Schmerzhafter Spagat
Windows Test Schmerzhafter Spagat(c) Presse Digital (Daniel Breuss)
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Auf Tablets macht die aktuelle Beta-Version eine gute Figur. Auf dem Arbeitsplatz-PC gibt es dagegen Probleme. Bis zur Fertigstellung hat Microsoft noch einiges an Arbeit vor sich.

Nun ist Windows 8 also da und es ist großartig. Zumindest, wenn man es auf einem Tablet nutzen will. Wer damit produktiv auf einem Arbeitsplatzrechner arbeiten will, wird vermutlich nicht so glücklich werden. DiePresse.com hat die Consumer Preview von Microsofts neuem Betriebssystem ausgiebig getestet. Zwei Gegenpole schlummern im Herzen von Windows 8. Einerseits das Bekenntnis zum Neuen, zum Aufbrechen verkrusteter Paradigmen, zur Neuerfindung der Benutzeroberfläche. Und andererseits die Verpflichtung, dass alles, was bisher unter Windows funktioniert hat, auch weiterhin unter Windows funktionieren soll. Dieser Spagat tut Microsoft und den Kunden weh - auf mehreren Ebenen.

Klare Oberfläche

Doch zuerst zum positiven Teil. Windows 8 auf einem Tablet ist flott, knackig, simpel, intuitiv zu bedienen, reagiert exzellent auf Fingereingaben und eine Wohltat im "Homescreen gefüllt mit App-Symbolen"-Einheitsbrei der iPad- und immer inflationäreren Android-Fraktion. Die Live Tile genannten Elemente, die eine Mischung aus Icon und Widget darstellen, sind aufgrund ihrer Rechtwinkligkeit und den harten Kanten nicht unbedingt jedermanns Sache. Sie erfüllen aber ihren Zweck und geben dem Nutzer in aller Knappheit wichtige Informationen auf einen Blick. Die Anordnung in Gruppen nach beliebigen Kriterien auf dem Startbildschirm klappt angenehm einfach.

Gespaltener Internet Explorer

Das Angebot an speziell für Tablets zugeschnittenen Apps ist noch recht dürftig. Das war allerdings auch zu erwarten. Die paar Anwendungen, die verfügbar sind, erfüllen großteils ihren Zweck, ein echtes "Wow"-Gefühl stellt sich aber nicht wirklich ein. Angenehm ist der neue Internet Explorer 10, der unter Windows 8 sogar in zwei Ausprägungen installiert ist. Einmal als bildschirmfüllende Metro-App und ein andermal als klassische Desktop-Anwendung in einem Fenster. Leider ist nur letztere in der Lage, Flash-Inhalte darzustellen. Noch dazu hakt die Metro-Version bei einigen Javascript-intensiven Websites. Manchmal wurde bei Formulareinigaben die Leertaste ignoriert oder die Löschtaste falsch interpretiert. Das dürften noch Beta-Kinderkrankheiten sein. Zumindest bleibt es zu hoffen, dass Microsoft dem IE10 in beiden Ausprägungen dieselben Funktionen spendiert. Ansonsten wird das für Tablet-Nutzer frustrierend, wenn sie für bestimmte Websites immer zur Desktop-Version wechseln müssen.

Microsoft liebäugelt mit dem DAU

Ärgerlich wird es aber, wenn tatsächlich Hindernisse auftauchen. Bei der Eingabe der E-Mail-Kontodaten gab es eine Fehlermeldung. Diese war aber dermaßen ohne jegliche Aussage und bot keinerlei Anhaltspunkte, was nun nicht stimmen könnte (die Daten waren korrekt eingegeben), dass man als Nutzer frustriert zurückbleibt. In seiner Bemühung, die Metro-Oberfläche klar und einfach zu gestalten hat sich Microsoft einer seiner Stärken beraubt: Auf Wunsch versierten Nutzern Details über Fehler und Probleme zu liefern. Wer hätte gedacht, dass man je einmal die klassische Windows-Fehlermeldung mit dem "Details"-Button vermissen würde? Generell fehlen schlicht und einfach Einstellmöglichkeiten in den Metro-Apps. Bleiben wir bei E-Mails: Verschlüsselte Verbindung oder nicht? Wie sieht es mit Zertifikaten für diese aus (wichtig für Geschäftskunden)? Keine Chance, das in der "Mail"-App einzustellen. Man fühlt sich als erfahrener Windows-Nutzer wortwörtlich für dumm verkauft. Windows 8, das System für den DAU? [Dümmster Anzunehmender User, Anm.]

Als Arbeits-Tablet bedingt geeignet

Und damit beginnt sich das Blatt auch langsam wieder wenden. Geht man vom Tablet als Mediennutzungsgerät weg und hin zu einem Arbeitsgerät für den Produktiveinsatz, ändert sich der positive Eindruck. Zwar bietet Windows 8 als einziges Tablet eine komfortable Multiuser-Umgebung. Kein anderes Betriebssystem für Mobilgeräte ermöglicht einen dermaßen einfachen, schnellen und nahtlosen Wechsel zwischen verschiedenen Benutzern. Dennoch ist Windows 8 in seiner derzeitigen Form nur bedingt für Unternehmen einsatzfähig, unter anderem wegen den geschilderten Einstellungs-Mängeln. Das liegt wohl auch daran, dass das kommende Office 15 noch nicht als Beta verfügbar ist. Dieses soll auch per Touch-Funktion auf Tablets einsetzbar sein.

Auf dem Arbeitsplatz zu klobig

So richtig frustrierend wird es aber, wenn man Windows 8 auf einem Desktop-Rechner einsetzen will. Der Metro-Startbildschirm und bildschirmfüllende Apps sind auf einem 24-Zöller schlicht und einfach nicht brauchbar. Die Mauswege sind zu lange, die Darstellung wirkt viel zu aufgeblasen und man sucht recht bald nach der Kachel, die zum klassischen Windows-Desktop führt. Dort fällt gleich einmal das Fehlen des Start-Buttons auf (der sich aber etwa mit der kostenlosen Software ViStart wiederbeleben lässt). Programme suchen darf man nur noch über das "Suchen"-Charm, das von rechts in den Bildschirm hinein fährt. Als Fingergeste ist diese Charms-Leiste mit wichtigen Funktionen wie "Suchen", "Teilen" oder "Einstellungen" gut, mit Maus und Tastatur aber eine lästige Zusatzarbeit.

Öffentlicher Werdegang

Was man Microsoft zugute halten muss, ist der Mut, den das Unternehmen an den Tag legt. Einerseits der Mut, komplett mit bisherigen Traditionen zu brechen. Und andererseits der Mut, die Entwicklung von Windows 8 dermaßen öffentlich zu gestalten und die Nutzer an der Gestaltung der Software teilhaben zu lassen. Aber genau diejenigen, die an den Details interessiert sind, verstört Microsoft durch seine Umgarnung der weniger versierten Nutzer. Es ist lobenswert, wenn sich die Entwickler in Redmond bemühen, Windows 8 für alle Schichten zugänglich zu machen. Dennoch sollten auch die erfahreneren Nutzer nicht zu kurz kommen.

Komplettes Umlernen nötig

Aber auch bei der neu liebgewonnen Zielgruppe wird Microsoft noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Auf YouTube verbreiten sich derzeit etliche Videos von Nutzern, die ihre Väter vor Windows 8 setzen und es ausprobieren lassen. Die Ergebnisse sind recht einhellig. Die Väter kommen recht bald auf den Desktop, kommen von dort aber nicht mehr zurück. Dass Microsoft den Startbildschirm erst wieder öffnet, wenn man die Maus ganz ins linkere untere Bildschirmeck bewegt, ist ohne das nötige Wissen nicht zu erraten. Wenn Windows 8 kommerziell funktionieren soll, muss unbedingt ein ausführliches und klar strukturiertes Tutorial her. Wenn man schon mit allen bisherigen Interface-Traditionen bricht, sollte man den Nutzern auch mitteilen, wie sie ihren Computern in Zukunft steuern sollen.

Das Tablet als Hoffnungsschimmer

Zweifellos wird Microsoft viele Nutzer mit Windows 8 verschrecken. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und die Bedienung des Computers komplett neu zu erlernen, will sich nicht jeder antun. Diejenigen, die mit Windows 7 auf ihrem Desktop oder Laptop zufrieden sind, werden kaum in Scharen heranstürmen. Wie so oft kann Microsoft aber auf die Kraft seiner Hardware-Partner vertrauen. Neue Computer werden fast ausschließlich mit Windows 8 ausgeliefert werden. Und auf Tablets hat Microsoft nun endlich eine sehr konkurrenzfähige Alternative zu Googles Android und Apples iOS im Arsenal. Insbesondere zeigt sich auch der Weitblick, den der Hersteller hat. Tablets werden immer wichtiger, die Geräteklassen schmelzen zusammen. In ein paar Jahren wird es vielleicht nur noch die tragbaren Touchscreen-Geräte geben, die man daheim in ein Dock steckt, und dann all seine Inhalte auf einem großen Bildschirm ansehen kann. Microsoft hat den langen Atem, um bis dahin harsche Kritik an Windows 8 einstecken zu können.

Noch viel zu tun

Die Zukunft des PC steht für Microsoft auf dem Spiel, und das weiß der Hersteller auch. Derzeit droht die Konkurrenz von Apple und Google, dem Hersteller hier die Schneid abzukaufen. Windows 8 könnte aber der große Befreiungsschlag werden, mit dem sich der Hersteller wieder in eine Innovatoren-Position hieven könnte. Denn bisher gelang es noch keinem anderen Unternehmen, ein Betriebssystem zu entwickeln, das auf Tablets und klassischen Computern gleichermaßen gut nutzbar ist. Noch ist Microsoft aber nicht ganz dort angelangt. Der Tablet-Teil dieser Rechnung geht bereits auf, der Desktop-Teil lässt noch zu wünschen übrig. Aber bis Windows 8 auf den Markt kommt, ist immerhin noch (sofern die Auguren sich nicht irren) ein halbes Jahr Zeit. Bis dahin kann und sollte noch viel geschehen. Die Änderungen seit der Entwicklervorschau (angeblich 100.000 an der Zahl), die im September 2011 veröffentlicht wurde, zeigen, dass Microsoft sich dessen bewusst ist.

(db)

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