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Wenn eine Million Menschen
Wenn eine Million Menschen(c) REUTERS (BECK DIEFENBACH)
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Hype im Internet: Seit zwei Kinder ihren Vater per Facebook überreden konnten, eine Katze zu kaufen, buhlen User um Like-Klicks.

Das Internet und die Katzen – das ist eine äußerst beliebte Kombination. Dan Urbano wusste das nicht. Und so versprach der Familienvater aus Newton, Massachusetts, seinen beiden Kindern Remi und Evelyn etwas zu leichtfertig, dass sie eine Katze bekommen – wenn sie auf Facebook 1000 Likes für ihren Wunsch schaffen. „Hey Facebook! Meine Schwester und ich wollen wirklich eine Katze. Unser Vater verspricht, dass wir eine bekommen, wenn wir 1000 Likes schaffen. Bitte drückt ,Gefällt mir‘! Danke!“ Mit diesem Text auf einer Tafel posierten der Siebenjährige und seine ein Jahr alte Schwester auf einem Foto auf Facebook – und erreichten ihr Ziel innerhalb weniger Stunden. Und mehr noch, nach einer knappen Woche fanden sich unter dem Foto mehr als 100.000 „Gefällt mir“-Klicks.


Zahlreiche Nachahmer. Diese Geschichte vom November 2012 hatte zwei Effekte: Erstens durften Remi und Evelyn wenige Tage später eine Katze im Haus begrüßen. Zweitens machte das Beispiel der beiden Kinder Schule. Und seit Wochen ist das Internet voll mit Menschen, die Tafeln mit der Bitte um Klicks in die Kamera halten. Der eine will einen Hund, der andere ein iPhone, ein anderer wiederum schreibt, dass sein Schwarm aus der Schule für eine Million Klicks mit ihm ins Bett gehen würde. Eine Million Klicks – das ist auch die Zahl, die der Internethype im Namen trägt: Als „One Million Facebook Likes Please“ ist das Phänomen mittlerweile bekannt.

Gar nicht so wenige dieser Aufrufe waren erfolgreich, die Internetgemeinde war mit Like-Bekundungen äußerst freigiebig. Kein Wunder, denn das Angenehme an der Klick-Ökonomie ist: Es gibt nur Gewinner. Auf der einen Seite steht ein lächelndes Kind mit einer Tafel in der Hand, das im besten Fall die Erlaubnis für eine Katze bekommt. Auf der anderen Seite stehen User, die nicht viel mehr als einen simplen Klick geben müssen, um jemandem dabei zu helfen, glücklich zu werden.

Genau dieses Prinzip bringt aber auch das Internetdilemma so genau auf den Punkt. Man muss nicht aktiv sein, etwas leisten, womöglich sogar auf die Straße gehen, um für etwas zu kämpfen. Man wähnt sich mit dem Mausklick bereits auf der sicheren Seite, man hat damit ja schon seinen Beitrag geleistet. Das mag beim Wunsch nach einer Katze nicht dramatisch sein, doch geht es um gesellschaftlich relevante Themen, wiegen ein paar Klicks natürlich nicht so stark wie etwa eine eindrucksvolle Demonstration. Nur für die müsste man das Haus verlassen, sich womöglich bei Regen oder Schnee auf die Straße begeben. Zivilgesellschaftliches Engagement lässt sich jedenfalls nicht nur mit einem Knopfdruck auf Facebook erledigen.


Nutzung für Werbung. Auf einer banaleren Ebene kann das Spiel mit Tafeln und Klicks dennoch einen Sinn haben. So posierte etwa eine Mitarbeiterin eines Unternehmens neben ihrem Chef mit einer Tafel – der halte nichts von Karneval, doch für 100.000 Likes würde er seinem Team am Rosenmontag freigeben. Gerade einmal vier Stunden dauerte es, bis die nötigen Klicks erreicht waren. Kleiner Nebeneffekt – beim Klicken wurden mehr als 1300 User auch gleich Fans der Unternehmensseite auf Facebook. Um Reichweite zu generieren, dürfte das Phänomen jedenfalls funktionieren. Vorläufig, zumindest. Denn wie bei jedem Hype ist schnell der Sättigungsgrad erreicht. Mittlerweile kursieren schon diverse Parodien, in denen User die Jagd auf Klicks mit den gleichen Stilmitteln lächerlich machen. Mit „My Mom said, if I can have 100.000 Likes, I will have 100.000 Likes. Please share“ posierte etwa Komiker Clemens Haipl auf seiner Facebook-Seite.


Virales Marketing. Für diverse Viral-Marketing-Kampagnen mag das Phänomen dennoch nach wie vor ein gewisses Potenzial haben. Und sollte es noch ein paar Eltern geben, die ihren Kindern allzu leichtfertig ein Haustier versprechen – die Chance auf ein paar Likes aus der klickfreudigen Internetgemeinde lebt sicher noch für einige Zeit. Zumindest so lang, bis der nächste Hype auftaucht. Vermutlich wieder irgendetwas mit Katzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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