Jugendschutz droht Deutschland zu Internet-Wüste zu machen

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Ab 2011 sollen alle Website-Betreiber ihre Inhalte mit Altersfreigaben kennzeichnen. Das ist mit erheblichem Aufwand und rechtlicher Unsicherheit verbunden. Erste Angebote stellen bereits ihren Betrieb ein.

Wenn Politiker Regeln für das Internet erstellen, drohen erfahrungsgemäß Konflikte. Derzeit wird eine deutsche Jugendschutzregelung heftig umstritten, die ab 2011 ihre Wirkung entfalten soll. Betreiber von Websites, egal wie groß oder klein, sollen durch den novellierten Jugendmediendienstestaatsvertrag (JMStV) gezwungen werden, alle ihre Inhalte auf jugendgefährdende Inhalte zu prüfen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Nicht nur ist der Name des Vertrags sperrig, seine Auswirkungen sind umso gefährlicher für die offene Kultur des Web. Zwei deutsche Blogs haben aufgrund der Konsequenzen der darin enthaltenen Regelungen bereits angekündigt, ihren Betrieb einzustellen.

Sendezeiten für das Internet?

Der JMStV sieht drei Möglichkeiten für Betreiber vor, den Jugendschutz sicherzustellen, wie eine FAQ beschreibt:

  1. Altersverifikation
  2. "Sendezeiten", die die Verfügbarkeit einschränken
  3. Alterskennzeichnung ähnlich wie die deutsche USK (0, 6, 12, 16 und 18 Jahre)

Da im Internet "Sendezeiten" nicht wirklich Sinn mahcen, ist diese Option ohnehin für die wenigsten Anbieter relevant. Die Altersverifikation wird schwierig zu kontrollieren sein. Technisch umsetzbar wäre die Einführung von Alterskennzeichnungen, die im Quelltext der Angebote verankert werden. Diese sollen von entsprechenden Jugendschutzprogrammen, die Eltern auf den PCs ihrer Kinder installieren sollen, ausgelesen werden. Bisher gibt es aber noch keine derartigen Programme, die durch deutsche Behörden genehmigt wurden.

"Deutschland hat keine Zukunft"

Aufgrund dieser verfahrenen Situation haben sich die ersten Anbieter entschlossen, ihre Websites zu schließen, wie Heise berichtet. Den Anfang machte VZlog.de, ein Portal, das über die bei Jugendlichen beliebten Angebote studiVZ und und schülerVZ berichtet. Aufgrund der überbordenden Strenge des JMStV habe man keine andere Wahl, als den Blog einzustellen. Es werde keine neuen Artikel und auch kein Archiv mehr geben. Genauso wird der Berliner IT-Experte Kristian Köhntopp seinen Blog einstellen. "Diese Website ist offline" werden Besucher ab sofort begrüßt. Er habe keine Zeit, seine Inhalte mit Alterskennzeichnungen zu versehen oder einen Zugangsschutz zu implementieren, schreibt Köhntopp. "Falls ich noch einmal irgendwas mache, dann in einem Land, das Zukunft hat. Nicht Deutschland."

Abmahnwelle droht

Besonders pikant ist, dass die Betreiber gar nicht so sehr Angst vor Strafverfolgung haben. Vielmehr fürchten sie eine Abmahnwelle, eine in Deutschland schon aufgrund des Urheberrechts durchs Land tobende Plage. Denn stellen Unternehmen fest, dass ihre Konkurrenten keine ausreichenden Jugendschutzmaßnahmen eingerichtet haben, können sie diese wegen unlauterem Wettbewerb kostenpflichtig abmahnen. Dieses erhebliche Kostenrisiko besteht besonders für kleinere gewerbliche Anbieter. Rechtsexperten befürchten bereits die nächste Abmahnwelle. Darüber werden sich besonders Anwälte freuen. Sie erhalten meist einen gehörigen Anteil an den geforderten Schadensersatz-Beträgen.

"Völlig an der Realität vorbei"

Die Bestrebungen der deutschen Politiker, Jugendschutz im Internet zu verbessern, "gehen völlig an der Realität vorbei", erklärt Lukas Feiler vom Europäischen Zentrum für E-Commerce und Internetrecht gegenüber Pressetext. Die Maßnahme führe aus mehreren Gründen zu Rechtsunsicherheit. Feiler schlägt eine Prüfung vor, ob hier nicht sogar ein Eingriff in die Grundrechte der Inhalts-Anbieter besteht, oder sogar das Grundrecht auf Informationsfreiheit für Jugendliche beeinträchtigt wird. Auch Feiler sieht 2011 eine ganze Flut an Abmahnungen auf Deutschland einbrechen.

Österreich setzt auf Medienkompetenz

Auch österreichische Anbieter beobachten die Entwicklung mit Spannung. Für Andreas Wildberger, Generalsekretär der Provider-Vereinigung ISPA, ist die neue Regelung "ein Ausdruck der Hilflosigkeit der Politik dem Internet gegenüber." Viel wichtiger als neue Gesetze sieht er die Schaffung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen. Das würde im Elternhaus beginnen und in sich in den Schulen fortsetzen, so Wildberger im Gespräch mit DiePresse.com. Zusammen mit der Plattform Saferinternet.at habe man eine gute Kooperation mit den einschlägigen Ministerien aufgebaut. Denn: "Technische Dinge können Kindererziehung nicht ersetzen", sagt Wildberger. Die Alterskennzeichnungen, die jetzt in Deutschland geplant sind, seien schon mehrfach international ausprobiert und als unbrauchbar befunden worden.

Politisches Hick-Hack

Noch ist der JMStV nicht in Kraft. Alle Länderparlamente Deutschlands müssen ihm zustimmen, was aber bis Mitte Dezember erwartet wird. Seit Monaten hatten Kritiker die Politik vor der Einführung des Vertrags gewarnt. Offenbar vergeblich. Selbst die bisher kritischen Grünen wollen in Nordrhein-Westfalen "aufgrund parlamentarischer Zwänge" dem JMStV doch zustimmen. Allerdings könnte sich auch das wieder ändern, was aber neuerliche Unsicherheit für die Website-Betreiber hervorruft. Der Arbeitskreis Internetsperren und Zensur befürchtete schon im Mai einen "irreversiblen Schaden", der für das Web in Deutschland entstehen könnte. In einem offenen Brief bitten mehr als 50 Vertreter aus verschiedensten Bereichen die SPD in Nordrhein-Westfalen, ihre Zustimmung zu verweigern.

Winter im Web

Sofern nach Inkrafttreten des JMStV nicht bald Musterprozesse oder sogar das deutsche Höchstgericht klären, wie damit umzugehen ist, könnte die geschaffene Problematik Deutschland bald in eine Internetwüste verwandeln. Die bisherige Vielfalt im Web wird darunter stark leiden. Denn kleinere, privater Websites werden sich weder die technische Umsetzung, noch die juristische Klärung derselben leisten können. Für Großkonzerne wird der zusätzliche Aufwand für die Alterskennzeichnung kaum ins Gewicht fallen. Es ist Winter. Und das Klima war noch nie so eisig für das deutsche Web.

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