Vorratsdaten: Wer ab 1. April was wann wie wissen darf

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Wer mit wem telefoniert und SMS schreibt, wird gespeichert. Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen zugreifen. Weitere Antworten zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung, gesammelt von DiePresse.com.

Die Vorratsdatenspeicherung sorgt für Unmut bei Datenschützern. Die Grünen und das BZÖ unterstützen eine Verfassungsklage gegen die Überwachungsmaßnahme. Im Vorfeld der neuen Regelungen gab es aber viele Falschinformationen. DiePresse.com bietet ein Überblick darüber, was ab 1. April wirklich der Fall sein wird.

Warum gibt es die Vorratsdatenspeicherung?

Die Idee, Kommunikations-Verbindungsdaten auf Vorrat zu speichern, war eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York, vom 11. März 2004 in Madrid und vom 13. Juli 2005 in London. Daraus entstand die EU-Richtlinie 2006/24/EG, in der die Speicherung dieser Daten vorgesehen wird. Österreich, genauer Infrastrukturministerin Doris Bures, hat sich bewusst lange Zeit mit der Umsetzung gelassen. Erst als 2010 eine Millionenstrafe wegen Nichtumsetzung der Regeln drohte, wurden die entsprechenden Gesetzesvorlagen eingebracht.

Welche Daten werden gespeichert?

Verbindungs-, Standort- und Nutzer-Daten folgender Kommunikationsmittel werden gespeichert: Telefongespräche, Kurzmitteilungen, Multimedia-Nachrichten (MMS), Internet-Telefonie und die Übertragung von Daten über sämtliche Internet-Protokolle einschließlich E-Mail. Konkret bedeutet das, dass bei Gesprächen etwa die Telefonnummern beider Teilnehmer, Zeitpunkt, Dauer und Standort des Anrufenden gespeichert werden. Bei E-Mails oder beim Surfen im Internet wird die IP-Adresse aufgezeichnet, die in der Regel einem einzelnen Computer zugeordnet werden kann. Im österreichischen Telekommunikationsgesetz (TKG) sind diese Punkte alle genau aufgelistet.

Werden auch Inhalte gespeichert?

Nein. Oft lassen andere Daten aber Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Etwa, wenn regelmäßig bei Selbsthilfegruppen, bestimmten Ärzten oder einschlägigen Hotlines angerufen wurde.

Wer hat Zugriff auf Vorratsdaten?

Auf die Vorratsdaten darf in Österreich ab 1. April von zwei Seiten zugegriffen werden. Einerseits durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Strafverfolgung, was die Strafprozessordnung (StPO) regelt. Und andererseits durch die Sicherheitsbehörden, was durch das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) geregelt ist. Für beide gelten aber unterschiedliche Bedingungen, unter denen sie auf die Daten zugreifen dürfen. Die Staatsanwaltschaft benötigt eine richterliche Genehmigung für Standort- und Verbindungsdaten. Für eine IP- und E-Mail-Adressen-Abfrage ist das nicht vorgesehen. Hier reicht eine staatsanwaltliche Anordnung. Es gilt aber das Vier-Augen-Prinzip. Bei der Polizei reicht eine akute Gefährdungssituation als Begründung, um auf Vorratsdaten zuzugreifen. Jegliche Abfrage muss aber genau protokolliert und dem Rechtschutzbeauftragten von Justiz- und Innenministerium bekannt gegeben werden.

Wann wird auf die Daten zugegriffen?

Die Staatsanwaltschaft nutzt Verbindungs- und Standortdaten, um einen Verdacht bei Ermittlungen zu erhärten oder zu entkräften. Dazu muss aber ein Offizialdelikt mit einer Strafandrohung von mindestens zwei Jahren bestehen. Friedrich König, Leiter der Abteilung Strafverfahrensrecht im Justizministerium, bezeichnet diese Daten als "essenziell" für die Ermittlungen. Die Polizei wiederum nutzt diese Informationen laut Innenministerium in den meisten Fällen nur bei Akutsituationen. In diesem Zusammenhang wird gern das Beispiel einer Entführung gebracht, wo das Opfer durch Handyortung ausfindig gemacht werden kann.

Kamen Behörden schon bisher an die Daten?

Hintergrund

Ja. Schon bisher durften Ermittler und Polizei auf Betreiberdaten und Handy-Standortinformationen zugreifen, sofern sie verfügbar waren. Im Wesentlichen ändert sich nur der Zeitraum, der für die Abfrage zur Verfügung steht.

Wie werden die Daten übermittelt?

Für Abfragen der Vorratsdaten gibt es eine sogenannte Durchlaufstelle. Sie ist in Wahrheit auch nur ein Server und ist zentral im Bundesrechenzentrum angesiedelt. Ermittler richten eine Vorratsdatenabfrage an den Provider, dieser übermittelt die gewünschten Informationen verschlüsselt an dieses Gerät, welches die Daten wiederum verschlüsselt an die Ermittler leitet. Sollte diese Schnittstelle einmal ausfallen oder defekt sein, würden die Behörden auf versiegelte Kuverts oder andere nicht so technische Mittel zurückgreifen.

Was kann aus diesen Daten gelesen werden?

2009 hatte der deutsche Politiker Malte Spitz (Grüne) die über ihn gespeicherten Daten bei der Deutschen Telekom beantragt. "Zeit Online" hat die Daten damals ausgewertet. Das Ergebnis: Eine Tabelle mit mehr als 35.000 Verbindungen. Sein Handy meldete sich alle zehn Minuten bei einer Funkzelle an und gab damit seinen ungefähren Standort preis. Seine Bewegungen in dem Zeitraum wurden zu 78 Prozent erfasst. Inhalte, wie Gespräche und Texte, werden nicht gespeichert. Dennoch lässt sich daraus so einiges lesen. Zum Beispiel, wo sich Malte Spitz zum Zeitpunkt einer konkreten Demonstration aufhielt und mit wem er telefonierte. Aus der Häufigkeit und Dauer von Telefonaten mit bestimmten Nummern lassen sich sogar Beziehungen analysieren. Werden die Daten mit Daten anderer Internetdienste verbunden, wird das Bild noch genauer. Infrage kommen insbesondere Twitter, Blogs oder öffentliche Fotonetzwerke wie Flickr. Zudem lassen gesammelte Bewegungsdaten eines halben Jahres Prognosen darüber zu, wohin sich eine Person an einem bestimmten Tag vermutlich bewegen wird.

Erfahren Bürger, ob Daten genutzt wurden?

Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Betroffene zu informieren, wenn im Zuge der Ermittlungen auf deren Vorratsdaten zugegriffen wurde. Bei der Polizei sieht es etwas anders aus. Fällt die Datenabfrage in einem Zeitraum, wo Standort- oder Verbindungsdaten bei den Providern noch für betriebliche Zwecke genutzt werden, muss ein Betroffener nicht informiert werden. Erst wenn der Betreiber die Daten nicht mehr benötigt und diese in den Pool der Vorratsdaten wandern, muss eine Information an den jeweiligen Kommunikationsteilnehmer ergehen. Jeder Bürger hat aber das Recht, jederzeit bei den Behörden anzufragen, ob und welche Daten über ihn abgefragt wurden.

Wieviel kostet die Vorratsdatenspeicherung?

In Österreich wurden die Kosten für die Anpassung von Technik und den betrieblichen Abläufen zur Datenarchivierung und Bearbeitung von Anfragen auf insgesamt 15 Millionen Euro geschätzt. 20 Prozent davon, also drei Millionen Euro, sollen von den Unternehmen selbst getragen werden, den Rest übernimmt der Bund. Der Löwenanteil davon (63 Prozent) wird vom Infrastrukturministerium berappt, das Innenministerium zahlt 34 Prozent, das Justizressort einen Fixbetrag von 360.000 Euro, was drei Prozent entsprechen soll. Die EU-Richtlinie verpflichtet die Staaten nicht zur Übernahme der Kosten.

Wie setzen andere Staaten die Richtlinie um?

Neben Österreich haben noch vier weitere Staaten die Richtlinie nicht umgesetzt. In Schweden wird noch am Entwurf für das nationale Gesetz geschmiedet. In Deutschland, Rumänien und der Tschechischen Republik war die Richtlinie bereits umgesetzt, die entsprechenden Gesetze wurden aber von den nationalen Verfassungsgerichten wieder gekippt. Andere Länder, wie etwa Großbritannien und Frankreich, haben die Vorratsdatenspeicherung strenger umgesetzt als Österreich. Dort müssen die Daten nicht nur sechs, sondern zwölf Monate gespeichert werden. Und in Ungarn dürfen Ermittler ohne Angabe von Gründen auf die Informationen zugreifen.

Drohen Sanktionen bei einer Nichtumsetzung?

Deutschland hat es bisher nicht geschafft, seine gekippte Vorratsdatenregelung neu zu gestalten. Die EU-Kommission hat dem Land deshalb jetzt die Rute ins Fenster gestellt. Sollte bis Mitte April keine Lösung gefunden werden, droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dieser kann eine Millionenklage gegen ein Land aussprechen, das eine Richtlinie nicht korrekt umsetzt.

Welche Sanktionen drohen den Providern?

Die Provider sind durch das Telekommunikationsgesetz verpflichtet, die Vorratsdatenspeicherung korrekt umzusetzen. Wenn hier Fehler geschehen, oder etwa Daten nicht rechtzeitig wieder gelöscht werden, kann es Verwaltungsstrafen von bis zu 58.000 Euro pro Fall hageln.

Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig?

Diese Frage lässt sich noch nicht beantworten. Die Kärntner Landesregierung will aber die Verfassungsmäßigkeit der österreichischen Regelungen vom Verfassungsgerichtshof prüfen lassen. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgerichts die dortigen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung für grundgesetzwidrig erklärt. Vereinbar ist die Speicherung auf Vorrat nach Ansicht vieler Juristen auch weder mit der EU-Grundrechtecharta von 2009, noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

(db/sg)

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