Die große Koalition zeigt sich uneins, wie sie das Urteil in Sachen Vorratsdatenspeicherung deuten soll.
Berlin. Deutschland war in den vergangenen Jahren in Sachen Vorratsdatenspeicherung so etwas wie das gallische Dorf Europas: als einziges EU-Mitglied, das sich standhaft weigerte, die Richtlinie aus Brüssel umzusetzen. Doch nun sind die Rebellen ratlos. Da das EuGH-Urteil für die Praxis nicht eindeutig genug ausfällt, bricht der alte Glaubenskrieg wieder aus.
Justizminister Heiko Maas (SPD), ein Gegner dieser Form von Überwachung, beruft sich darauf, dass der EuGH die Richtlinie komplett für ungültig erklärt hat. Damit sei eine „neue Situation entstanden“. Die Logik: Ohne gültige Richtlinie gibt es auch keine Vertragsstrafe. Die Deutschen könnten in Ruhe abwarten, wie die EU-Kommission mit dem Debakel umgeht.
De Maizière will speichern
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hingegen drängt weiterhin auf ein neues Gesetz. Er hält eine Speicherfrist von drei bis sechs Monaten, wie die Regierung sie geplant hat, mit dem Urteil für vereinbar. Tatsächlich erklärt der EuGH nur den breiten Spielraum von sechs bis 24 Monaten für willkürlich. Was aber ist die „absolut notwendige“ Frist, auf die eine Speicherung der Verbindungsdaten zu beschränken ist?
Zur Vorgeschichte: Die Basis für die deutsche Verweigerung war ein Urteil aus Karlsruhe. Die Verfassungsrichter entschieden schon 2010: Ein schwarz-rotes Gesetz von 2008, das die Vorgaben umsetzte, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Liberalen in der schwarz-gelben Regierung blockierten daraufhin erfolgreich jeden neuen Anlauf. Die Ungeduld in Brüssel wuchs. Die EU-Kommission verklagte die Deutschen in Straßburg.
Erst die neue Große Koalition war sich einig, dass Vorratsdatenspeicherung im Prinzip vonnöten sei. Aber vor einem neuen Gesetz wollten sie die gestrige Entscheidung abwarten. Fest steht jetzt nur eines: Saftige Vertragsstrafen sind vorerst vom Tisch. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2014)