WhatsApp: Eine Milliarde für den SMS-Killer?

WhatsApp: Eine Milliarde für den SMS-Killer?
WhatsApp: Eine Milliarde für den SMS-Killer?(c) Reuters
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SMS war (vor)gestern. 300 Millionen Menschen versenden Bilder, Videos und Texte mit dem Kurznachrichtendienst WhatsApp. Trotz Sicherheitslücken. Nun will Google die zugeknöpfte Firma kaufen.

Wien. Jan Koum und Brian Acton sind so etwas wie die Gegenthese zu den marktschreierischen Internetgründern aus dem Silicon Valley: ruhig, verschlossen, fast doppelt so alt wie manches millionenschwere Wunderkind unter den Digital Natives. Statt dass sie rund um die Uhr über die eigenen Errungenschaften twitterten, hörte man von den beiden Unternehmern um die vierzig die längste Zeit gar nichts. Monatelang haben sie alle Presseanfragen ignoriert. Dabei führt das amerikanisch-ukrainische Duo seit 2009 eines der am schnellsten wachsenden Internetunternehmen weltweit: den Kurznachrichtendienst WhatsApp.

Was früher die gute, alte SMS erledigen sollte, hat für geschätzte 300 Millionen Menschen weltweit heute WhatsApp übernommen. Der große Vorteil: Der Versand von Videos, Bildern oder Texten kostet den Nutzer nichts, sofern er freies Datenvolumen hat. In der Silvesternacht allein waren 18 Milliarden Nachrichten im Umlauf. Im Jahr 2011 investierte der Wagniskapitalgeber Sequoia Capital acht Millionen Dollar (6,15 Mio. Euro). Jetzt ist offenbar Google drauf und dran, das Unternehmen zu kaufen, berichtet „Digital Trends“. Kolportierter Kaufpreis: über eine Milliarde US-Dollar.

Verschwiegene Firmengründer

Sinn würde das Geschäft allemal ergeben. Schließlich ist Google mit seinen eigenen Anläufen in diesem Bereich bisher stets gescheitert. Aber was will sich der Internetkonzern da eigentlich einverleiben? Verschwiegene Hintermänner, Sicherheitslücken und zweifelhafter Datenschutz. Die Geschichte eines Unternehmens, bei dem trotz seines kometenhaften Aufstiegs vieles im Dunkeln bleibt.

Zum ersten Mal aufgefallen ist das Unternehmen 2009, als Jan Koum und Brian Acton WhatsApp auf den Markt gebracht haben. Kennengelernt haben sich die beiden 1996 bei Yahoo, dem damaligen Platzhirschen im Internet. 2008 verließ Acton die Firma und bewarb sich bei Twitter und Facebook – ohne Erfolg. Stattdessen begann er, WhatsApp zu entwickeln und holte bald seinen früheren Kollegen Koum an Bord. Viel mehr ist schon nicht mehr bekannt.

Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern in den USA und einigen in Russland profitabel. Das Geschäftsmodell: iPhone-Nutzer müssen für die App bezahlen, alle anderen Handykunden können das Programm kostenlos herunterladen. Nach einem Jahr wird in jedem Fall eine jährliche Gebühr von einem Dollar fällig. Auf Werbung verzichtet WhatsApp komplett.

Via Mundpropaganda wurde der Dienst rasch zu einer der meistgenutzten Apps in über hundert Ländern. Und zu einer ernsthaften Bedrohung für die Telekombranche. Nach Schätzungen des Marktforschers Ovum haben Dienste wie WhatsApp oder Viber die Mobilfunkbetreiber 2011 fast 14 Milliarden Dollar an SMS-Umsatz gekostet. Jan Koum bestreitet jedoch, einen SMS-Killer erschaffen zu haben. Im Gegenteil, der Dienst würde der Telekombranche sogar nutzen, beteuerte er in einem der raren Interviews mit Reuters. Denn um WhatsApp zu nutzen, brauchen Kunden Zugang zum Internet. Je natürlicher es für die Menschen wird, Bilder und Videos zu verschicken, desto eher greifen sie auch zu teureren Datenverträgen ihrer Betreiber, so seine Logik.

Nutzer sind „fast ungeschützt“

Mit der steigenden Bekanntheit werden aber auch die Probleme des Dienstes offensichtlich: mangelnder Datenschutz und Sicherheitslücken. Wer WhatsApp nutzt, muss dem Unternehmen Zugriff auf sein gesamtes Telefonbuch gewähren. Und die Fachleute von Heise Security warnten in den vergangenen Monaten mehrfach: WhatsApp-Nutzer seien „fast ungeschützt“. Ohne großen Aufwand könnten die Konten des Dienstes geknackt werden. Die längste Zeit waren auch die Nachrichten selbst unverschlüsselt. Die beiden Gründer reagieren auf Kritik aus dieser Richtung wie auf fast alles – nämlich gar nicht. Und selbst wenn ein Problem behoben wird, hängen es Acton und Koum nicht an die große Glocke. Dass ihre Nachrichten fortan verschlüsselt werden, mussten die WhatsApp-Nutzer im Sommer aus den FAQ erfahren.

Mit dem Verkauf an Google könnte die Geschichte einer ungewöhnlichen Internetfirma doch noch ein typisches Ende nehmen. Wenn es sich die Gründer nicht im letzten Moment anders überlegen. Die Chance besteht allemal. Erst im vergangenen Juli ließ Jan Koum die Welt wissen, was er von derartigen Deals hält: „Leute, die Firmen gründen, um sie schnell wieder zu verkaufen“, twitterte er, „sind eine Schande für das Valley.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2013)

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