Der Arzt am Smartphone

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Cisco(c) REUTERS (MIKE BLAKE)
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Smart Citys, Gesundheits-Apps und Telemedizin boomen. Nahe Seoul startet Cisco einen Test für die Stadt der Zukunft.

Um die Zukunft zu sehen, muss man eine knappe Autostunde in den Südwesten von Seoul fahren. Hier liegt Songdo, eine noch immer im Wachsen begriffene Planstadt. Fast alles in der künstlich angelegten Stadt wird von Computern gesteuert. Sie schalten Ampeln nach dem Verkehrsaufkommen, warnen vor einem Stau, informieren über Unfälle, Luftqualität und Brände – und in tausenden Wohnungen ersetzen sie auch den Arztbesuch.

„Was wir hier machen, ist weltweit einzigartig“, erklärt Rajiv Niles, Leiter der Abteilung Lösungsentwicklung beim US-Netzwerkunternehmen Cisco. In 15.000 Wohnungen realisiert die Firma ihre Vorstellung von der Zukunft, von einer Smart City, in der alles über das Internet gesteuert und organisiert wird: sei es die Bestellung im Supermarkt, der Klavierunterricht per Videokonferenz, die Kinderüberwachung mit kleinen GPS-Sendern, der Filmverleih über die Internet-Cloud, vor allem aber der Besuch beim Arzt.


30 Pilotprojekte. „Home Health ist die Zukunft“, meint Niles und zeigt auf ein Gerät in der Größe eines Toasters, das in der Vorzeigewohnung auf einem kleinen Tisch steht. Es misst den Blutdruck, die Temperatur, die Sauerstoffsättigung im Blut, den Blutzucker und den Puls. Auffälligkeiten erkennt der Computer automatisch und schlägt bei wiederholt erhöhtem Blutdruck beispielsweise einen Termin beim Arzt vor, den er auch gleich fixieren kann.

2015 wird man sich in Südkorea gar nicht mehr in die Ordination bemühen müssen, sondern kann für den Arztbesuch gleich die hochauflösende Videokamera samt Monitor verwenden, die sich im Wohnzimmer befindet: Das Gesundheitsministerium in Seoul bereitet derzeit eine Gesetzesnovelle vor, die Ärzten die Behandlung über Videosysteme erlaubt.

„Beratende Gespräche sind bei bestimmten Krankheiten schon jetzt möglich“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. „Wir wollen aber einen Schritt weitergehen und es Ärzten auch generell ermöglichen, Patienten über Telemedizin zu behandeln.“ Die Fortschritte in dem Bereich seien derart, dass es höchst an der Zeit sei, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

In Südkorea laufen 30 Pilotprojekte zu verschiedenen Telemedizin-Modellen. Im Grunde ähneln sie sich alle: ein Monitor plus Videokamera und dazu medizinisches Gerät, das Messdaten an den Arzt überträgt. Im Zuge der für 2015 geplanten Novelle werden Telemedizin-Zentren entstehen, mit deren Hilfe Patienten auch auf dem Land Zugang zu Spitzenmedizinern in Seoul haben sollen. Arzthelfer vor Ort würden die Untersuchungen vornehmen, der Arzt über Video die Diagnose erstellen und die entsprechende Behandlung vorschlagen.

Angewendet werden darf die Art der Untersuchung nach Plänen des Gesundheitsressorts nicht nur in abgelegenen, ländlichen Gebieten, sondern auch bei älteren oder behinderten Menschen, bei chronisch Kranken zu Kontrolluntersuchungen oder bei Soldaten und Gefangenen.

Cisco ist das erste Unternehmen, das die Möglichkeiten einer vernetzten Gesundenuntersuchung im Alltag anbieten wird. Home Health ist Teil des Smart-City-Pakets des Unternehmens für Songdo, das monatlich ungefähr so viel kostet wie ein Internet-Anschluss.

Das Timing für die Einführung ist freilich nicht unbedingt das beste. Zwar sind laut einer Marktumfrage mehr als 80 Prozent von der Idee begeistert – das war allerdings, bevor man wusste, wie eifrig die Datensammler der NSA sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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