Telefon, Internet: Polizei spioniert oft

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Handyortung & Co. sind bei der Exekutive sehr beliebt. Von 1. Jänner bis 30. September 2008 wurden insgesamt 6707 Personen ohne richterlichen Beschluss ausgeforscht. Das Höchstgericht berät ab Montag über die Zulässigkeit.

Wien. Seit einem Jahr darf die Polizei erfragen, wer wann mit wem wie lange und von wo aus telefoniert oder via Internet korrespondiert hat. Eine bisher noch nicht veröffentlichte Langzeitstatistik des Innenministeriums zeigt, dass die Exekutive von ihren Befugnissen regen Gebrauch macht. Von 1.Jänner bis 30. September 2008 wurden insgesamt 6707 Personen ohne richterlichen Beschluss (und ohne es je erfahren zu haben) ausgeforscht. Das sind 24 Personen täglich.

Die Grünen sehen damit ihre Bedenken gegen die Gesetzesänderung bestätigt und hoffen nun auf den Verfassungsgerichtshof, der ab Montag das sogenannte Sicherheitspolizeigesetz auf seine Zulässigkeit prüft.

Die Detailauswertung der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Peter Pilz zeigt, dass die Polizei mehrheitlich interessiert, von welchen Festnetzanschlüssen aus telefoniert wird (siehe Grafik). Häufig bei den Internet-Providern nachgefragt wird auch, wer wann auf welchen Seiten im Internet gesurft hat (1308 Fälle). Wer der Absender einer anonymen E-Mail war, wollten die Behörden zwischen Jänner und September nur 39-mal wissen. Die als besonders sensibel geltende Ortung von Mobiltelefonen wurde im Berichtszeitraum 695-mal durchgeführt. Das sind 2,54 Standortbestimmungen pro Tag.

102 Skitourengeher im Juli?

Umgesetzt wurde diese Befugnis Ende 2007 mit der Begründung, dass man nur so (also sofort und ohne Kontrolle eines Richters) selbstmordgefährderte Personen und verschollene Skitourengeher ausfindig machen könne.

Marie Ringler, Gemeinderatsabgeordnete und Technologiesprecherin der Wiener Grünen, bezeichnet es in diesem Zusammenhang als „bemerkenswert“, dass die Zahl der Standortbestimmungen ausgerechnet während der heißen und schneefreien Sommermonate Juni, Juli und August mit 81, 102 und 83 Ortungen Rekordwerte erreichte.

Spioniert die Polizei also wahllos Bürgern hinterher? Nein, heißt es dazu im Bundeskriminalamt, das gemeinsam mit den Landeskriminalämtern, dem Verfassungsschutz und dem Büro für interne Angelegenheiten (BIA) die Anträge auf Ausforschung von Telefon-, Handy- oder Internet-Nutzern an die Provider verschicken darf. Wie viele der 695 Ortungen tatsächlich vermisste Skitourengeher waren, war aus „administrativen Gründen“ für die „Presse“ jedoch nicht zu erfragen.

Theodor Thanner, der als Rechtsschutzbeauftragter des Innenministeriums über alle Handypeilungen informiert werden muss, berichtet aber, dass die Mehrzahl der Standortbestimmungen mit der Selbstmordankündigung einer Person begründet wird. Ob die Begründung zutrifft, kann aber nicht geprüft werden. Der Betroffene hat nämlich kein Recht darauf, über die Ausforschung informiert zu werden.

Thanner fordert deshalb für die Zukunft, vor der Ortung (und nicht wie jetzt erst danach) über die Maßnahme informiert zu werden, sowie ein Informationsrecht für die überwachte Person.

Spionage ohne Gesetz? „Ja“

Liest man die Statistik des Ministeriums kritisch, tun sich auch im Monatsvergleich interessante Details auf. Ausgerechnet während der Fußball-Europameisterschaft im Juni brach die Zahl der Ausforschungen um 46 Prozent ein – um danach um fast 20 Prozent zu steigen. Und das, obwohl die Behörden für die Euro mit einem Anstieg der Kriminalität gerechnet hatten. Es sieht fast so aus, als ob „liegen gebliebene“ Fälle nach der Großveranstaltung abgearbeitet wurden. Und das, obwohl das Gesetz Anfragen bei Telekom-Anbietern ausdrücklich nur bei Gefahr in Verzug und einer konkreten Gefahrenannahme erlaubt.

Dass die Exekutive schon das alte SPG zu ihren Gunsten auslegte, wird ebenfalls durch die Beantwortung der Anfrage bestätigt. So wird dort die Frage, ob es zutreffend sei, dass Nutzer von IP-Adressen bereits vor der ausdrücklichen Erwähnung von IP-Adressen im Gesetz ausgeforscht wurden, mit einem schlichten Ja beantwortet. Im November 2008 hatte „Die Presse“ die Studie eines Verfassungsjuristen veröffentlicht, die diese Praxis als rechtswidrig qualifizierte. Bis zur Gesetzesnovelle Anfang 2008 sollen in den Jahren davor bis zu tausend Personen jährlich illegal ausgeforscht worden sein.

„Beim Wunsch nach der Abschaffung der Spitzelbefugnisse hoffen wir auf den Verfassungsgerichtshof“, sagt die Grüne Marie Ringler, die als Betreiberin eines kleinen Internet-Knotens das Gesetz genauso beim Höchstgericht bekämpft wie der Telekom- und Internet-Riese T-Mobile. Die Beratungen der Richter dazu beginnen kommenden Montag. Im VfGH ist man sich der Brisanz des Themas bewusst. Ein Sprecher hält es für möglich, dass die für einen Zeitraum von drei Wochen anberaumte Session nicht ausreichen und die Entscheidung vertagt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2009)

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