Sechs Minuten – und all das Blau der Welt

(c) AP (NASA)
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Der Kosmos ist eines der letzten Mysterien unserer Zeit, nur ganz wenige waren bisher so weit oben. Zwei Männer machen sich nun daran, das Universum zu kommerzialisieren. Ihre Idee: Pauschalreisen ins All. Ihre Motive: Pioniergeist und Geschäftssinn zugleich.

Jedes Kind träumt von einem Flug zu den Sternen. Wenn Kinder erwachsen sind, drehen sie Filme darüber, schauen sich diese Filme an, und in klaren Sommernächten blicken sie in den unendlich weiten Himmel und erklären einander, wo der Polarstern liegt. Oder der Große Wagen.

Jahrtausendelang ist es beim Träumen geblieben. Das ist auch heute noch so, sieht man vom handverlesenen Kreis der Astronauten und Kosmonauten ab. Rund 500 Männer und Frauen waren seit dem ersten bemannten Weltraumflug 1961 im Kosmos. Alle anderen schauten zu.

Unsere Gegenwart ist dabei, auch diese Gewissheit zu schleifen. Es sieht so aus, als bieten sich bald zwei Möglichkeiten, das Weltall zu betreten. Die eine existiert seit 2001: Man lernt Russisch, macht harte, monatelange Trainings mit, reist zum kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur und lässt sich in einer Sojus-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS mitnehmen. Dort darf man tagelang in Schwerelosigkeit verbringen, Profis bei der Arbeit zuschauen und siebzehnmal täglich den Sonnenaufgang bewundern. 30 Millionen US-Dollar kostet die Reise.

Die zweite Möglichkeit: Man wartet auf Richard Branson. Weltumsegler, Ballonfahrer, Milliardär sind Attribute, die man häufig in Verbindung mit dem zum Sir geadelten Engländer findet. Doch der 59-Jährige ist seit Jahrzehnten vor allem eines: erfolgreicher Unternehmer. Bereits nächstes Jahr soll seine neueste Geschäftsidee marktreif sein. Sie lässt in ihrer Kühnheit seine bisherigen Projekte wohl so weit hinter sich wie die globale Wirtschaftskrise.

Nur der Gewinn am Ende erscheint nicht erträumt. Bransons Plan: eine Pauschalreise ins All – für (fast) jedermann. Zwei Tage Training, zwei Stunden Flug, sechs Minuten im Weltraum. Start und Landung am selben Ort in den USA – wer will, ist also zum Mittagessen zurück. Die kurze Zeit in der Schwerelosigkeit ist genug für einen langen Blick auf den Blauen Planeten von oben, „eine Perspektive, die Ihr Leben verändern wird“, verspricht Branson. Ausnahmsweise glaubt man dieser Werbung. Auch die Kosten ändern daran nichts. 200.000 Dollar werden für den Ausflug fällig, im Vergleich zum Aufenthalt auf der ISS geradezu ein Schnäppchen.

Das Angebot kommt von Virgin Galactic, Teil von Bransons Firmenimperium. Konkret läuft es so ab: „White Knight Two“, ein Flugzeug, das entfernt an einen Katamaran erinnert und die längste jemals gebaute Tragfläche hat, dient als Mutterschiff. In seiner Mitte hängt das Raumschiff, „Space Ship One“. Beide starten zusammen wie ein normales Flugzeug, erreichen eine Höhe von 15 Kilometern, und dann klinkt sich das Raumschiff aus. Kurz darauf schaltet es seine Raketentriebwerke ein und beschleunigt in 30 Sekunden auf die 3,3-fache Schallgeschwindigkeit. In neunzig Sekunden durchstößt es die Grenze zum All, erreicht eine Höhe von 115 Kilometern, und schaltet oben alle Triebwerke ab.

Was dann kommt, ist das eigentliche Ziel der Reise: vollkommene Stille, tiefschwarze Dunkelheit und die Sicht aufs runde, leuchtende Blau tief unten. Der Zustand währt nur kurz. Von der Erde angezogen, tritt die Kapsel wieder in die Atmosphäre ein und schwebt wie ein Segelflieger ohne Antrieb zurück zum Ausgangspunkt.


Jungfernflug 2010. Wenn Bernhard Stingl in seinem Büro in Wien darüber erzählt, klingt er, als könne er das alles selbst noch nicht ganz glauben. „Wenn mir jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich bald Weltraumflüge verkaufe, hätte ich ihn ausgelacht.“ Heute hält sein Reiseveranstalter „Deluxe Travel Europe“ für Österreich die exklusive Vertriebslizenz für die Ausflüge ins All.

Die ersten könnten schon bald erfolgen: Für Ende 2009 sind die Tests der neuen Raumkapsel geplant, 2010 soll der Jungfernflug kommen. Obwohl Virgin Galactic offiziell noch nichts bekannt geben will, fanden dieser Tage die Testflüge für das neue Mutterschiff statt. Nächste Woche will Branson vor die Kameras treten und mit seinem üblichen breiten Grinsen den nächsten Etappensieg verkünden.

Mit seiner grauen Mähne sieht der Engländer aus wie ein Althippie, wäre da nicht dieses Lächeln von jemandem, der es aufs Sonnendeck geschafft hat. 1971 nahm Bransons kleine Plattenfirma Virgin Records den unbekannten Bassisten Mike Oldfield unter Vertrag. Dessen Debütalbum hielt sich fünf Jahre in den Charts und war der Anfang von Bransons unternehmerischem Erfolg. Später brachte er Boy George und die Sex Pistols heraus, gründete die Fluggesellschaft Virgin Atlantic und verfügt heute über ein Firmennetz mit 55.000 Mitarbeitern und geschätzten 17 Milliarden Jahresumsatz: Telefonie, Gastronomie, Fitness-Studios, Eisenbahngesellschaften.

Publikumswirksam rührt Sir Richard die Werbetrommel für sein jüngstes Projekt, und das Interesse ist riesig, glaubt man Marion Aliabadi, die in München mit „Designreisen“ den Trip in Deutschland vertreibt. Rund 280 verbindliche Buchungen gibt es bereits weltweit. Madonna soll dabei sein, „Dallas“-Star Pamela Ewing, der Physiker Stephen Hawking und mit Franz Haider auch ein Österreicher.


Wien–Sydney in zwei Stunden. Die Strapazen schrecken sie nicht. Aliabadi und Stingl haben beide die Simulationstrainings von Virgin Galactic in einem NASA-Zentrum in Philadelphia bereits hinter sich. Sie erzählen, wie beim Wiedereintritt in die Atmosphäre die sechsfache Erdanziehung wirkt. Stingl vergleicht das mit dem Druck, den man beim Autounfall spürt: nicht ganz so stark, dafür 90 Sekunden lang. „Ich habe die ganze Zeit geschrien“, erzählt Aliabadi.

Wie groß das Marktpotenzial ist, hat der europäische Weltraumkonzern EADS untersucht: Bis 2020 würden 150.000 Menschen eine Reise buchen. EADS hätte gerne selbst mitgemischt, musste aber Anfang Februar wegen Finanzierungsschwierigkeiten aufgeben.

So bleibt Virgin Galactic allein in diesem jungfräulichen Markt. Multipliziert man die EADS-Zahlen mit dem aktuellen Preis, ergibt das für das Unternehmen bis 2020 Einnahmen von 30 Milliarden Dollar.

Über die Risken spricht Branson, der Abenteurer, nicht gerne. Er kündigt lieber an, dass er zum Erstflug seine gesamte Familie mitnehmen wird. Auch das Finanzielle lässt Branson lieber im Dunkeln: „Das Ganze kostet uns so viel wie der Bau eines einzigen 747-Jets.“ Denn eigentlich sind das nur Anfangsinvestitionen. Nach den Weltallausflügen plant Virgin Galactic den kommerziellen Transport von Satelliten und noch später, ganz klassisch, Städteverbindungen. Wien–Sydney zum Beispiel in zwei Stunden, dank der Abkürzung über den Kosmos. Der Blick aus der Luke ist dann gratis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

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