Mit der Zahnbürste ins Büro: Angst vor "Bossnapping" steigt

Eines der
Eines der "Bossnapping"-Opfer:Scapa-Manager Derek Sherwin(c) AP (Laurent Cipriani)
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Immer öfter werden in Frankreich Manager von Mitarbeitern gefangen gehalten. Diese bunkern mittlerweile Zahnbürsten und Lebensmittel im Büro - für den Fall der Fälle.

Die Serie von Anhaltungen französischer Manager durch erboste Mitarbeiter reißt nicht ab. Am Gründonnerstag hielten Ingenieure des größten französischen Autozulieferers Faurecia drei Manager stundenlang im Betrieb in Brieres-les-Scelles bei Paris fest. Die Manager wurden kurz vor Mitternacht freigelassen. Tags zuvor waren vier Manager des Klebstoffherstellers Scapa in Bellegarde-sur-Valserine über Nacht festgesetzt worden. Scapa versprach für ihre Freilassung die Verdoppelung der Abfindungen.

Manager bunkern Lebensmittel im Büro

Viele Manager bereiten sich mittlerweile auf mögliche Geiselnahmen vor und lagern Zahnbürsten und Lebensmittel im Büro. Berater bieten Kurse an, wie man sich bei Betriebsbesetzungen und Abriegelung des Büros verhalten soll. Normalerweise schalten die Unternehmen nicht die Justiz ein, sondern machen den Arbeitnehmern finanzielle Zugeständnisse. So sagten Caterpillar, Sony und 3M nach Geiselnahmen von Managern höhere Abfindungen zu.

In der französischen Öffentlichkeit hat mittlerweile eine rege Diskussion über das "Bossnapping" getaufte Phänomen eingesetzt. Gewerkschaftsführer Bernard Thibault sagte am Freitag dem Sender RTL, es wundere ihn nicht, wenn Beschäftigte "Aufsehen erregende Aktionen" veranstalteten. Schließlich müssten sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, damit ihnen Gehör geschenkt werde. Die Regierung jedenfalls habe den Massenkündigungen bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Sarkozy: "So etwas werde ich nicht hinnehmen"

Präsident Nicolas Sarkozy hatte am Dienstag gesagt, er verstehe die Beunruhigung und die Verzweiflung der Beschäftigten, die zum Opfer der Wirtschaftskrise würden. Gleichzeitig kritisierte er die "Gefangennahme" von Managern scharf. "Wir sind in einem Rechtsstaat, so etwas werde ich nicht hinnehmen", sagte er.

Mittelstands-Staatssekretär Herve Novelli forderte ein Ende der Bossnappings, lehnte aber ein staatliches Eingreifen ab. Man könne "auf die Illegalität nicht mit Gewalt antworten, die unnütz sein kann, wenn sich die Dinge regeln". Doch "wenn die Lage sich verschlimmert, muss man eine Ordnung wieder herstellen, die nicht mehr existiert".

Franzosen haben Verständnis für "Bossnapping"

Bei vielen Franzosen bis weit ins bürgerlich-konservative Lager hinein stößt das "Bossnapping" auf Verständnis. Die linksliberale "Liberation" begründet dies mit dem fest verwurzelten Wunsch der Franzosen nach Gleichheit und dem Fehlen eines sozialen Dialogs, der die Opfer wirtschaftlicher Maßnahmen zu Notwehrmaßnahmen zwinge.

Gewerkschafter erklären, die Aktienoptionen und "Goldenen Handschläge" für Manager verbreiteten bei den Arbeitnehmern ein Gefühl krasser Ungerechtigkeit. Das trifft auch den Nerv vieler Mittelständler. "Die Aktienoptionen und dieser ganze Unsinn haben das Klima verdorben", erklärt der Unternehmer Francois Turcas der "Libération". "Ich verstehe die Verbitterung." Die Leute haben kein Mittel mehr, sich Gehör zu verschaffen."

(Ag.)

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