Thyssen künftig ohne Stahl

Konzernchef Heinrich Hiesinger ist das Feindbild vieler Beschäftigter.
Konzernchef Heinrich Hiesinger ist das Feindbild vieler Beschäftigter.APA/AFP/dpa/THOMAS FREY
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Ungeachtet heftiger Proteste will Konzernchef Hiesinger die Abspaltung des Stahlgeschäfts an Tata Steel durchziehen.

Essen. Der hohe Nettoverlust von 649 Mio. Euro, den der deutsche Stahlkonzern Thyssenkrupp im Geschäftsjahr 2016/17 einfuhr, erzürnt die Belegschaft nicht. Sind doch die Belastungen infolge hoher Abschreibungen beim Verkauf des Stahlwerks in Brasilien schon lange bekannt. Es ist die Zukunft, die die rund 27.000 Beschäftigten in der Stahlsparte auf die Barrikaden gehen lässt. Konzernchef Heinrich Hiesinger hält nämlich an seinem Plan, die Stahlsparte 2018 in ein Joint Venture mit dem Konkurrenten Tata Steel abzuspalten, fest. Und zwar ungeachtet davon, dass das Stahlgeschäft wieder Gewinn abwirft.

„Natürlich freue er sich über das derzeit positive Marktumfeld für die Schwerindustrie, sagte Hiesinger am Donnerstag bei der Bilanzpressekonferenz. „Aber davon lassen wir uns nicht blenden.“ Die strukturellen Probleme der Branche in Europa seien ungelöst. Im Flachstahlbereich gebe es immer noch erhebliche Überkapazitäten.

Die Antwort der Beschäftigten – im rheinland-pfälzischen Andernach, wo ein Weißblechwerk steht, demonstrierten Tausende gegen die Fusion – kam prompt: „Wir fordern ein Jahrzehnt Sicherheit für Beschäftigung, Standorte, Anlagen und Investitionen. Darum wird es bei den folgenden Verhandlungen gehen“, sagte der vom Betriebsrat entsandte Aufsichtsrats-Vize von Thyssenkrupp Steel Europe, Detlef Wetzel. Und er setzte noch nach: In der Grundsatzvereinbarung mit Tata Steel sei vieles vereinbart, „nur für die Menschen ist nichts, aber auch gar nichts geregelt“. „Mein Eindruck ist, dass das so nichts wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnten wir einem Joint Venture nicht zustimmen.“ Der Vorstand müsse sich stark bewegen, um die Forderungen der IG Metall zu erfüllen.

Geringere Belastungen

Hiesinger versuchte die Wogen zu glätten: In dem Joint Venture mit Tata würden keine Maßnahmen ergriffen, die es nicht ohnehin geben würde, sagte er. Im Gegenteil, die Belastungen würden wohl geringer ausfallen. „Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir im Dialog mit den Arbeitnehmervertretern eine gute Lösung finden werden.“

Ausgerechnet das ungeliebte europäische Stahlgeschäft hat Thyssenkrupp maßgeblich zu einem höheren operativen Gewinn verholfen. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg um ein knappes Drittel auf 1,9 Mrd. Euro. Die Stahlsparte verbesserte dank gestiegener Preise ihren operativen Gewinn um rund 75 Prozent auf über eine halbe Mrd. Euro. Damit übertraf der Konzern die Markterwartungen. Trotz Nettoverlusts – der sich im laufenden Geschäftsjahr bei 1,8 bis zwei Mrd. Euro Ebit in einen „deutlich positiven Überschuss“ verwandeln soll – wird den Aktionären eine unveränderte Dividende von 15 Cent je Papier in Aussicht gestellt.

Der Kurs spiegelte die Verunsicherung wider: Die Papiere konnten ihre anfänglich deutlichen Kursgewinne nicht halten und fielen am Vormittag um bis zu 2,5 Prozent zeitweise ans DAX-Ende. Dann schwankten sie zwischen leichten Gewinnen und Verlusten, um am Nachmittag wieder an die DAX-Spitze zu drehen.

„Die Zahlen sind besser als befürchtet ausgefallen, wobei die Prognose manche ein wenig enttäuschen könnte“, sagte ein Händler. (Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2017)

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