Zweifel in der Zentralbank an eigener Prognose

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Offiziell rechnet die EZB mit einer kräftigen Erholung der Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte. Doch intern steigt die Skepsis an der Einschätzung des Hauses. Die Zinserhöhung könnte länger auf sich warten lassen.

Frankfurt. Die Wirtschaftsprognosen der Europäischen Zentralbank werden Insidern zufolge intern immer stärker infrage gestellt. Wegen der Konjunkturabkühlung in China und der von den Vereinigten Staaten angefachten Handelskonflikte stuften immer mehr EZB-Vertreter die eigenen Vorhersagen für die Eurozone als zu optimistisch ein, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf vier mit den Diskussionen vertraute Personen.

Probleme verschwinden nicht

Bei der jüngsten Zinssitzung habe eine „signifikante Minderheit“ die Vorhersage bezweifelt, dass das Wachstum im zweiten Halbjahr anziehen werde. Einige hätten wegen der zuletzt wiederholten Prognosesenkungen sogar die Vorhersagemodelle angezweifelt.

Die Prognosen der hauseigenen Ökonomen – auch Projektionen genannt – sind ein wichtiger Faktor, der in die geldpolitischen Überlegungen der EZB einfließt. Sollten sie weiter nach unten korrigiert werden, könnte die Euro-Notenbank die erste Zinserhöhung seit 2011 womöglich erneut nach hinten verschieben. Erst im März hat sie beschlossen, ihre Leitzinsen noch bis mindestens zum Jahresende nicht anzutasten. Zuvor hat sie dies bis lediglich über den Sommer hinaus in Aussicht gestellt.

Weiterhin sieht die EZB aber viele der für die jüngste Wachstumsschwäche verantwortlichen Ursachen als vorübergehend an. EZB-Chef Mario Draghi hält daher eine Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr noch immer für wahrscheinlich.

Insidern zufolge waren einige Ratskollegen zuletzt aber weniger zuversichtlich. Sie hielten die bremsenden Faktoren keinesfalls nur für temporär, weshalb auch wenig für eine deutliche Erholung im zweiten Halbjahr spreche. So habe zwar etwa die deutsche Autobranche insbesondere unter der Umstellung auf den neuen Abgasprüfstandard WLTP gelitten. Ein sich änderndes Verbraucherverhalten, der Trend weg vom Diesel und eine schwächere Nachfrage in China könnten aber permanente Faktoren sein.

Draghi zeigt wenig Interesse

Auch die Eintrübung im Welthandel sei womöglich keine Eintagsfliege. Handelskonflikte schienen inzwischen eher die Regel zu sein, nicht die Ausnahme. Die EZB lehnte eine Stellungnahme ab. Manche Währungshüter sind laut Insidern sogar der Auffassung, dass die Vorhersagemodelle der EZB überprüft werden sollten. Zuletzt haben die Volkswirte der Zentralbank ihre Wachstumsprognosen von Quartal zu Quartal nach unten revidiert.

Derzeit erwarten sie für das heurige Jahr ein Wirtschaftswachstum im Euroraum von 1,1 Prozent. Noch im Dezember haben sie ein Plus von 1,7 Prozent in Aussicht gestellt, davor waren es im September 1,8 Prozent. Den Insidern zufolge zeigte Mario Draghi aber wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit wenig bis kein Interesse an einer vertieften Diskussion über die hausinternen Prognosemethoden. Die achtjährige Amtszeit des Italieners läuft Ende Oktober aus. Eine Verlängerung ist nicht möglich. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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