Analysten beißen sich an 147 Millionen Chinesen die Zähne aus

Das Konsumverhalten der Chinesen ist durchsichtiger als ihr Anlageverhalten.
Das Konsumverhalten der Chinesen ist durchsichtiger als ihr Anlageverhalten.(c) REUTERS (Carlos Barria)
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Sogenannte Quants wollen ihre Investitionen rational allein von Zahlen abhängig machen und Psychologie ausschalten. Doch bei Privatanlegern in China gelangen sie mit ihren Methoden an die Grenzen. Wie soll man die Amateure auf dem wildesten Aktienmarkt der Welt verstehen?

Shanghai/Wien. Tom Zhou ist ein so genannter Quant, ein quantitativer Investor, der einen 500 Millionen Dollar schweren Hedgefonds mitverwaltet. Wie andere quantitative Handelsanalysten, die versuchen, Chinas Aktienmarkt mit einem Volumen von 6,6 Billionen Dollar zu verstehen, verbringt Zhou einen Großteil seiner Zeit damit, sich in unerfahrene Anleger hineinzuversetzen. Quants passen ihre Modelle an einen chinesischen Markt an, auf dem mehr als 80 Prozent der Transaktionen von Kleinanlegern getätigt werden.

Einkauf riesiger Datenmengen

Es ist nicht einfach, in einem Land mit der weltweit höchsten Aktienmarkt-Volatilität und Kursschwankungen alles richtig zu machen. Um das Verhalten von 147 Millionen chinesischen Privatanlegern vorauszusehen, durchkämmen Quants Social-Media-Posts und verwenden künstliche Intelligenz, um zu prognostizieren, wann beliebte technische Indikatoren Kauf- und Verkaufswellen auslösen werden. Sie kaufen riesige Datenmengen von Unternehmen wie Tencent Holdings, um die Anlegerstimmung einzuschätzen, und eliminieren Faktoren, die im Westen gut funktionieren, in China jedoch keine überdurchschnittliche Performance einbringen.

Privatanleger sind anders

Diese Bemühungen zeigen, wie anders internationale Investoren denken müssen, wenn sie angesichts der jüngsten Aufnahme des Landes in die globalen Indizes von MSCI mehr in chinesische Aktien investieren wollen. „In den USA versuchen Quants, mit komplexen Modellen oder automatisierten Transaktionen blitzschnell Geld mit anderen institutionellen Anlegern zu verdienen, aber in China funktionieren viele Strategien nicht gut, und die Erzrivalen der Quants sind Privatanleger", sagt Zheng Xu, ehemaliger Portfoliomanager, der jetzt Finanzen an der Shanghai Jiaotong University lehrt: „Hier ist es äußerst wertvoll, das Verhalten und die Stimmung von Privatanlegern zu verstehen."

Die Herausforderungen

Während Quants es normalerweise ablehnen, ihren Ansatz preiszugeben, waren einige bereit, grob zu skizzieren, wie sie die Auswirkungen der chinesischen Kleinanleger auf den Aktienmarkt einzuschätzen versuchen. Zhou, ehemaliger quantitativer Analyst und jetzt Fondsmanager, sagte, ein auffälliges Phänomen sei, dass chinesische Händler dazu neigen, schneller als ihre Pendants in den USA Gewinne mitzunehmen.

Der weltweit tätige Vermögensverwalter Blackrock wiederum verfolgt Änderungen der Stimmung von Privatanlegern durch die Analyse von Social-Media-Daten. Das Unternehmen kauft Aktien, die bei den Anlegern wachsende Aufmerksamkeit erregen.

Solche Faktoren sind nicht immer zuverlässig und ändern sich mit den Jahren.

Die einzigartige Marktstruktur des Landes stellt auch Quants vor Herausforderungen. Zu den größten Hürden zählen ein Mangel an liquiden Absicherungsinstrumenten und eine Regel, die verhindert, dass Anleger innerhalb eines Tages dieselben Aktien kaufen und verkaufen. Das erschwert den Hochfrequenzhandel.

Zudem können auch Chinas Zensur sozialer Medien und der sich ständig weiterentwickelnde Online-Slang, den die Internetnutzer verwenden, um der Staatsüberwachung auszuweichen, Unternehmen vor Herausforderungen stellen. Nicht zufällig werden auch Modelle für die Analyse des Jargons entwickelt. (Bloomberg/est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2019)

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