Entwicklung: Osteuropa muss nach Osten schauen

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Entwicklung Osteuropa muss nach c EPA OLIVIER HOSLET
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Während sich Europa um Athen kümmert, droht Osteuropa Fortschritte aus 20 Jahren zu verlieren, warnt EBRD-Chef Suma Chakrabarti. Die Zukunft der Region liege in Asien.

Wien. Eigentlich ist Suma Chakrabarti nicht nach Wien gekommen, um sich über das Fernsehprogramm zu beschweren. Als der Brite die „Presse“ in der Lounge eines Nobelhotels trifft, muss er es doch tun: „Wir sehen im Fernsehen und in den Zeitungen immer nur Griechenland, Spanien, Italien. Kein Mensch redet darüber, was in Osteuropa still und heimlich passiert“, empört sich der neu gewählte Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Dabei drohe die Region gerade, alle Fortschritte der vergangenen zwanzig Jahre wieder einzubüßen.

Tatsächlich haben sich die Wachstumsraten im Osten seit Ausbruch der Wirtschaftskrise mehr als halbiert. Westliche Banken haben seit Mitte des Vorjahres 55 Mrd. Euro aus der Region abgezogen. Investitionen sind Mangelware, die Arbeitslosigkeit oft hoch, etliche Länder stehen vor der Rezession. Natürlich gibt es Lichtblicke wie Polen oder die Türkei, große Länder, die sich gegen den Abwärtstrend stemmen können. Doch kleine Staaten auf dem Balkan sind durch den drohenden Bankrott Griechenlands gefährdet. Bulgarien, Serbien, Albanien, Mazedonien. In vielen dieser Länder halten griechische Banken bis zu 30 Prozent des Finanzsektors. Mit 30 Mrd. Euro wollen EBRD, Weltbank und EIB die Wirtschaft dieser Länder stützen.

Lieber Bulgarien als China

„Aber Geld ist nur ein Teil der Antwort“, sagt Chakrabarti. Osteuropa braucht eine Neuorientierung. Die Nachfrage aus dem Westen ist eingebrochen. Ob sie jemals wieder im selben Ausmaß zurückkehre, sei nicht sicher. Unternehmen müssten ihre Fühler stärker in andere Teile der Welt ausstrecken. Nach Asien, nach Nordafrika. Viele osteuropäische Länder hätten in kommunistischen Zeiten gute Beziehungen in diese Regionen gepflegt. Die alten Bande sollten – unter anderen ideologischen Voraussetzungen – wieder geknüpft werden.

Nur so könne die einstige Boomregion wieder an alte Erfolge anschließen: „Das Wachstum wird zurückkommen.“ Vielleicht nicht in den nächsten drei Jahren, in fünf oder sieben seien alte Wachstumsraten aber durchaus wieder möglich. Denn durch den krisenbedingten Rückgang der Löhne seien viele Länder im Osten des Kontinents noch wettbewerbsfähiger geworden, können durchaus mit der asiatischen Konkurrenz mithalten. Unternehmen stünden heute vermehrt vor der Wahl, in China oder in Bulgarien zu produzieren. „Viele entschieden sich für Bulgarien.“ Nicht ohne Grund: Das Lohnniveau ist nicht wesentlich höher als an der Küste der Volksrepublik, die westeuropäischen Märkte sind nah und die Arbeiter gut ausgebildet.

„Es geht in Osteuropa nicht mehr ums Überleben. Es geht um Wachstum“, ist Chakrabarti überzeugt. Dafür sei Geld allein nicht genug. Regierungen müssten auch reformbereit sein. Hoffnungen setzt er in Slowenien, das – eben noch Kandidat für den Euro-Rettungsschirm – nun ernste Bemühungen erkennen ließe. „Die Krise macht mich optimistisch“, dass es, anders als in den früheren Jahren, nicht bei Ankündigungen bleiben wird.

Protektionismus macht sich breit

Auch ein Negativbeispiel ist schnell bei der Hand: Ungarn. Kein anderes Land wurde von den Investoren zuletzt so geschmäht wie Österreichs Nachbar. Die Banken zogen fast 15 Prozent der Wirtschaftsleistung aus dem Land ab. Ähnlich erging es sonst nur Spanien. Die Institute haben es der Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán übel genommen, erst sie und dann viele andere ausländische Unternehmen mit hohen Krisensteuern zu belegen. Für Chakrabarti ein schwerer Fehler – und eine ernste Gefahr. Denn Ungarn ist nicht allein mit derlei nationalistischen Ideen. „In den Zeitungen liest man immer öfter von ,strategischen Industrien‘. Das ist ein Code für Protektionismus“. Allein könnten sich die Länder aber nicht aus der Krise ziehen. Sie seien auf einen globalen Aufschwung angewiesen, ist er überzeugt. Um protektionistische Länder würden Investoren dann aber einen Bogen machen.

Zur Person

Suma Chakrabarti (geb. 1959) ist seit Juli Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Mit dem Briten steht erstmals kein Deutscher oder Franzose an der Spitze der Osteuropabank. Chakrabarti war zuvor im öffentlichen Dienst und Chef internationaler Konzerne. [Katharina Roßboth]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2012)

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