Wasserkraft: Türkei beginnt Enteignungen für Ilisu-Staudamm

(c) EPA (Tolga Bozoglu)
  • Drucken

NGOs orten einen Verstoß gegen internationale Vereinbarungen – und drängen auf das Aus für das Projekt.

Istanbul (mac). Die Zukunft des umstrittenen Ilisu-Staudamms im Südosten Anatoliens hängt am seidenen Faden. Während die – ausschließlich ausländische – Finanzierung des 1,2 Mrd. Euro teuren Projekts in weite Ferne rückt, drückt die türkische Regierung aufs Tempo. Offenbar ohne Rücksicht auf internationale Vereinbarungen.

Nach Berichten der türkischen Tageszeitung „Milliyet“ soll das türkische Kabinett die sofortige Enteignung der Bewohner von 26 Ortschaften entlang einer Strecke von der Stadt Midyat nach Ilisu am Tigris angeordnet haben. Unter der Verwendung eines „Notstandsparagrafen“ müssten somit die ersten Menschen wegen des Riesenstaudamms ihre Häuser verlassen. Insgesamt, so schätzt man, müssen 75.000 Türken zur Übersiedlung gezwungen werden. Nichtregierungsorganisationen wie die „ECA-Watch“ fordern nun den „sofortigen Ausstieg der europäischen Kreditversicherer aus dem Projekt.

Denn weder die deutsche Exportkreditagentur Euler Hermes noch die österreichische Kontrollbank, deren Garantien für die Umsetzung des Projekts lebensnotwendig sind, wollen von den jüngsten Aktivitäten der Türkei gewusst haben. „Derzeit werden die Meldungen geprüft“, sagt Peter Gumpinger, Sprecher der OeKB zur „Presse“. Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre ein Einstieg in das umstrittene Großprojekt wohl in weite Ferne gerückt. Schon 2007 hatte die Türkei – entgegen internationalen Vereinbarungen – mit ersten Enteignungen begonnen. Nach einem vereinten Aufschrei der Exportkreditagenturen wurden die Aktivitäten wieder gestoppt.

300 Mio. Euro aus Österreich

„Leistungen aus Österreich gibt es nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind“, betont Gumpinger. Auch der neue Außenminister Michael Spindelegger regte vergangene Woche, nach Ablauf einer Frist, in der die Türkei Auflagen bei Umweltschutz, Umsiedlungen und Kulturgütern umsetzen hätte müssen, den Rückzug aus dem Projekt an. Seitdem wird allgemein erwartet, dass die drei Kreditversicherer (Euler Hermes, Kontrollbank und die Schweizer Serv), die gemeinsam Kredite über 450 Mio. Euro mit Exportgarantien absichern, den Rückzug bekannt geben. Schon Anfang Oktober hatten sie der türkischen Regierung einen „blauen Brief“ wegen Verstößen gegen Umweltauflagen geschickt. Österreich ist mit rund 300 Mio. Euro an dem Projekt beteiligt. Derzeit sei ein Ausstieg aber noch nicht möglich, erklärte die deutsche Euler Hermes am Freitag.

Umweltschützer und Archäologen protestieren seit Langem gegen den 1,8 Kilometer langen Staudamm und das 1200-Megawatt-Kraftwerk, das 2012 fertig gestellt werden soll. Neben ökologischen und sozialen Bedenken würde der mehr als 300 Quadratkilometer große Stausee auch die archäologisch bedeutende Stadt Hasankeyf bedrohen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.