Boris Nemsic: "Festhalten mündet in der Implosion"

Boris Nemsic
Boris Nemsic(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit Anfang April leitet Nemsic den russischen Mobilfunkbetreibers VimpelCom. Im Interview erläutert er seine Sicht auf Russland, Österreich und die bedrohlichen Unterschiede in der mentalen Reaktion auf die Krise.

Sie sind jetzt seit drei Wochen hier. Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Österreich und Russland?

Boris Nemsic: Die Telekom Austria ist genauso eine internationale Company wie die VimpelCom. Aber in der Telekom Austria hat der längste Flug, der nach Bregenz, eineinhalb Stunden gedauert, hier dauert er elf Stunden. Das bringt operative Herausforderungen mit sich, aber von der Kultur her gibt es wenige Unterschiede.

Sie sind hier bereits unter den Bedingungen der Krise angetreten. Äußert sie sich in Russland und Österreich unterschiedlich?

Die Telekombranche gehört hier wie da zu jenen Branchen, die von der Krise im Vergleich noch wenig betroffen sind. Der große Unterschied besteht in der Frage, wie ein Land, wie eine Gesellschaft mit der Krise umgeht. Wenn man sich die osteuropäische Geschichte der letzten 60 Jahre und darüber hinaus ansieht, bemerkt man, dass die Menschen hier im Umgang mit Krisen viel geübter sind. Man ist hier anpassungsfähiger, kann auf etwas verzichten, um dann neu zu beginnen. In Österreich sind die Strukturen viel rigider und unflexibler, da stehen die sogenannten wohlerworbenen Rechte im Mittelpunkt aller Diskussionen. Wenn man sieht, wie schnell sich diese Gesellschaften hier anpassen können, sieht man einen selbst auferlegten Wettbewerbsnachteil für Österreich.

Wie äußern sich diese Unterschiede konkret in Ihrem Unternehmen?

Im Unternehmen war klar, dass es heuer keine Inflationsabgeltung geben kann, jeder versteht das. Die Inflation beträgt hier aber zwischen zehn und 15 Prozent. Als ich eine Wohnung suchte, hat mir ein Bekannter seine gezeigt, eine 130-Quadratmeter-Wohnung, wie wir alle sie haben, keine Luxusvariante. Sie hat damals an die 20.000 Dollar Monatsmiete gekostet. Heute ist sie um 10.000 Dollar zu haben. Der Vermieter hat sich an die neuen Gegebenheiten angepasst, die ganze Kostenstruktur geht mit. Versuchen Sie mal in Wien, zu Ihrem Vermieter zu gehen und um 50 Prozent Discount zu fragen.

Das hat in den letzten Jahren in Russland zu Problemen in die umgekehrte Richtung geführt: Auf dem Immobilien- und auf dem Arbeitsmarkt sind die Preise explodiert.

Gute Leute zu finden ist überall schwierig, und wenn sie mit guten Gehältern gelockt werden, kommen sie. Das ist hier nicht anders als in den USA. Sie haben recht, diese Preissteigerungen waren ein Problem. Aber es ist bewältigbar, wenn klar ist, dass es auch wieder von oben nach unten gehen kann. Die Frage ist, ob sich unsere Gesellschaft in Österreich, in der es immer nur nach oben gehen kann und nie nach unten, behaupten kann – durch Anpassung auch nach unten. Diese Flexibilität ist in meinen Augen der Schlüssel.

Sie sagen, die Telekom Austria (TA) ist eine internationale Company. Zugleich ist sie ein ehemaliger Staatsbetrieb, der einen Rucksack aus dieser Zeit mitträgt. Wenn sich die jetzigen Eigentümer darüber beklagen, sagen Politiker nicht ganz ohne Grund: „Ihr habt gewusst, was ihr da kauft, und solange euch der Markt nach oben getragen hat, habt ihr euch auch nicht beklagt.“

Da haben beide Seiten recht. Das Problem der Flexibilität ist dort ja nicht erst zehn Jahre alt, sondern Jahrzehnte und mehr. Man kann nicht auf etwas beharren, das 55 Jahre alt ist, das geht ganz einfach nicht. Man kann Lösungen im Rahmen der bestehenden Gesetze finden. 2037 löst sich das Problem ohnehin, da gibt es dann keinen einzigen Beamten mehr in der Telekom Austria. Aber das ist eine lange Zeit, für die man Lösungen finden muss. Wir haben keine Stöpseltelefone mehr. In Zeiten des Internets können wir uns nicht benehmen wie in Zeiten der Brieftaube. Punkt.

Wie gefährlich ist das für die TA?

Ich persönlich glaube nach wie vor, dass das Hauptproblem die Regulierung ist. Wenn tatsächlich bis 2011 die Mobile-Terminierung auf zwei Cent abgesenkt wird, ist das schlicht Selbstmord. Vor allem weil es, und das ist interessant, in Europa anders ist. Anrufe nach Deutschland werden viel teurer sein als Anrufe nach Österreich. Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil nur für die Telekom Austria. Wieso, weiß kein Mensch. Irgendjemand sagt, dass die Effizienz der Telekom Austria höher sein muss als die der Deutschen Telekom, was natürlich absurd ist.

Der russische Telekommarkt ist bereits ähnlich gesättigt wie der westeuropäische. Zugleich sind die Zeiten des Kampfes um Marktanteile durch Handygeschenke vorbei. Wo sehen Sie Wachstumschancen?

Die Frage ist, was heißt gesättigt? Das Mobiltelefon ist auch hier in Russland bereits ein Körperteil. Was aber noch viel Potenzial hat, sind die Datendienste. Die Blackberry-Dichte ist hier gleich null, Datenkarten sind kaum im Einsatz. Die UMTS-Lizenzen sind noch nicht vergeben, weil sie vom Militär belegt sind und erst freigemacht werden müssen. Zweitens: Die Dauer der Telefonate. Warum sollte der Durchschnittskunde weiterhin nur fünf Minuten am Tag telefonieren?

Weil es zu teuer wäre?

Das stimmt nicht. Wir haben überall Flatrates. In Südostasien wird das Mobiltelefon 300 bis 400 Minuten benutzt, in manchen zentralasiatischen Republiken ist die usetime doppelt so hoch wie in Österreich. Auch im internationalen Bereich sehe ich Wachstumschancen, wir launchen jetzt unsere Netze in Vietnam und Kambodscha.

Dennoch: Angesichts der Krise ist wohl zu erwarten, dass der Trend zum Zweitmobiltelefon nicht anhalten wird.

Die Zweithandydichte ist in Russland ziemlich hoch, wir halten bei 1,4 SIM-Karten pro Einwohner. Das hat damit zu tun, dass die Leute die Tarife je nach Anwendungsfall optimieren. Dazu kommt, dass Russland ein riesiges Land ist, in dem es zwischen den Regionen Roaming-Gebühren gibt. Wenn sich jemand für einen Monat in einer Region hinter dem Ural aufhält, besorgt er sich ein eigenes Handy oder eine zweite SIM-Karte. Was uns abgehen wird, ist das Wachstum. Die natürliche Wachstumsrate ist in diesen Gebieten pro Kunde zweistellig. Die wird sicher durch die Krise reduziert.

Auch der Kampf um Marktanteile durch Zugaben wird nicht aufrechtzuerhalten sein.

In Russland gibt es das gar nicht, die Netzbetreiber verkaufen keine Handys. Hier geht man eher über Tarife, Qualität und Marke. Man darf Russland nicht als einen Markt sehen. In jeder Oblast gibt es eigene Lizenzen, in der einen Region hat man also andere Mitbewerber als in der anderen. Wir haben damit 82 eigene Märkte (entsprechend der Anzahl der Föderationssubjekte, Anm. d. R.). Es gibt nicht einmal einen einheitlichen Tarif. Wir haben also 600 aktuelle Tarife, insgesamt sind 6000 Tarife auf dem Markt.

Es gibt aber auch einige Rückstände in der Technologie, zum Beispiel im Bereich Glasfaser. Wird man da nachholen oder einfach manche Schritte überspringen?

Das Thema Glasfaser zeigt die Anpassungsfähigkeit und den Pragmatismus, den es hier gibt: Innerhalb von zwei Jahren wurden sechs Millionen Haushalte mit 100-MB-Glasfaserleitungen versorgt. Ich habe die Zahl einfach nicht geglaubt, bis man mir sagte, dass man den verdammten Draht einfach frei aufgehängt hat, statt ihn zu vergraben.

Aber sie sind dadurch, abgesehen von ästhetischen Aspekten, verwundbarer.

Was heißt verwundbarer? Dass die wer durchschneidet? Ich bitte Sie, in Österreich hat das eben der Bagger gemacht, da hatten wir auch immer wieder Ausfälle. Hier hat man also innerhalb von zwei Jahren sechs Millionen Haushalte informatisiert, während man in Österreich fünf Jahre über die Wegerechte diskutiert.

Wie sehen Sie den Unterschied in der politischen Reaktion auf die Krise?

Die russischen Verhältnisse kenne ich noch zu wenig. Ich glaube, dass die österreichische Regierung sehr gut reagiert hat, zum Beispiel mit dem frühen Bankenpaket. Gut, es wurde dann lange verhandelt, so schlimm scheint es also nicht zu sein. Die Reaktion war okay.

Fürchten Sie wie Paul Krugman einen österreichischen Staatsbankrott?

Es wäre nicht fair, einem Nobelpreisträger zu sagen, dass er einen Blödsinn geredet hat. Aber wahrscheinlich hat Herr Krugman die Balkanstaaten, Bulgarien oder Tschechien nie gesehen. Außerdem: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Ist Russland eine Demokratie?

Ich kann das nicht beantworten, obwohl es eine sehr populäre Frage ist. Man kann nicht unterschiedliche Gesellschaften mit unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen unter einer einheitlichen Definition verhandeln und dann die Demokratiefrage mit Ja oder Nein beantworten. Jede Gesellschaft macht ihre Entwicklung durch, die Frage ist nur, ob sie in die richtige Richtung geht. Ich glaube, dass es in Russland die richtige Richtung ist. Und um noch einmal an den Beginn unseres Gesprächs zurückzukehren: Diese jungen Demokratien sind flexibler, und das könnte den alten Demokratien zum Verhängnis werden, auch wenn ich das nicht hoffe. Das Festhalten mündet meistens in einer Implosion, das hat die Geschichte gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2009)

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