Serbien: Kredite statt Investoren

Serbien Kredite statt Investoren
Serbien Kredite statt Investoren(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Der EU-Anwärter schlittert der nächsten Wirtschaftskrise entgegen. Doch nicht nur das macht dem Land zu schaffen, sondern auch die konzeptlose Regierungspolitik.

Belgrad. Zumindest Serbiens ranghöchster Berufsoptimist hat seine Zuversicht noch nicht verloren. Er ziehe mit seiner Demokratischen Partei (DS) „mit größter Zufriedenheit“ in die Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr, verkündete Staats- und Parteichef Boris Tadić in der vergangenen Woche scheinbar hoffnungsfroh: „Denn wir haben sehr viel erreicht.“

Tatsächlich bietet Belgrads von der DS geführte Mitte-links-Koalition schon seit Monaten ein eher tristes Bild. Zwar versuchen die emsigen Amtsträger mit der mehrfachen Eröffnung halbfertiger Brücken und Autobahnabschnitte das Wahlkampfbild unbändigen Tatendrangs zu vermitteln. Doch ausgerechnet im Vorwahljahr sind die guten Nachrichten für Serbiens angeschlagene Regierungstruppe immer spärlicher gesät.

Die Hoffnung, vor den Wahlen doch noch den ersehnten Termin zum Auftakt der EU-Beitrittsverhandlungen oder wenigstens den EU-Kandidatenstatus zu erhalten, dürfte sich als ebenso trügerisch erweisen wie die zu Jahresbeginn gehegte Erwartung eines einsetzenden Aufschwungs.

20 Prozent Arbeitslose

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine ursprüngliche Wachstumsprognose für dieses Jahr mittlerweile von drei auf zwei Prozent gesenkt. Gleichzeitig machen der von der hohen Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent und satten Preissteigerungen gebeutelten Bevölkerung weiter reale Einkaufsverluste zu schaffen.

Die Zahl der Beschäftigten ist seit den letzten Wahlen 2008 um über zwölf Prozent zurückgegangen – und vor allem in der Industrie weiter dramatisch geschrumpft: Die Zahl der Berufstätigen liegt mit 1,8 Millionen Menschen nur noch wenig über jener der Rentner (1,6 Millionen). Jeden Monat verlieren 3000 Serben ihren Job, berichtet die Zeitung „Blic“: „Die Arbeitslosigkeit bleibt die Krebswunde für Serbien.“

Doch selbst eine Anstellung ist in dem Balkanstaat mit einem statistischen Durchschnittslohn von rund 330 Euro im Moment noch keineswegs eine Garantie für ein sicheres Auskommen. Monatelang nicht ausgezahlte Löhne zählen genauso zu gängigen Arbeitgeber-praktiken wie die Einbehaltung fälliger Sozialbeiträge: Die aufgelaufene Schuld der Unternehmen bei den Rentenkassen soll Schätzungen zufolge mittlerweile über zwei Milliarden Euro betragen. Immer häufiger berichten zudem Beschäftigte, dass sie bei einer Neuanstellung von ihren Arbeitgebern genötigt werden, Blankokündigungen zu unterzeichnen, um jederzeit ohne Angabe von Gründen oder der Zahlung von Abfindungen entlassen werden zu können.

Immer weitere Bevölkerungskreise rutschen unter die Armutsgrenze, die Mittelklasse schrumpft. Die Finanzkrise bei den wichtigen Auslandsinvestoren Griechenland, Italien und Slowenien nährt derweil bei den Ökonomen die Furcht, dass das Land schon bald in die nächste Krise schlittert: Vor allem ein weiterer Rückgang der ohnehin erlahmten Auslandsinvestitionen dürfte den EU-Anwärter hart treffen. Schon jetzt liege die Höhe der Investitionen rund ein Drittel unter den Kalkulationen der Regierung, so der Ökonomie-professor Ljubomir Madzar.

Für das verhaltene Investoreninteresse macht der Ökonom nicht nur externe Krisenfaktoren verantwortlich. Das Land habe seine größten Investitionshemmnisse immer noch nicht gelöst: „fehlende Rechtssicherheit, Korruption, politische Instablität, Inflation.“

Infrastrukturprojekte gestrichen

Es gebe bisher „keinerlei Hinweise“, dass die neue Welle der Finanzkrise auch nach Serbien überschlagen könne, versichert dagegen hoffnungsfroh Finanzminister Nebojša Ćirić: Zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit müssten eben so viele Investoren wie möglich angelockt werden.

Statt mit Auslandsinvestoren muss sich Belgrad derweil notgedrungen mit neuen Krediten für noch schlechtere Zeiten wappnen. Ende August signalisierte der IWF seine Bereitschaft, dem Land zur Aufstockung der Währungsreserven einen weiteren Milliardenkredit auf Abruf zu gewähren: Der Bereitschaftskredit soll angesichts des auf 4,6 Prozent gestiegenen Defizits das Vertrauen von Investoren zurückgewinnen.

Den Kredit bekommt Belgrad aber nur bei Zusage eines strikten Sparkurses gewährt. Doch in Vorwahlzeiten sind bei – auf ihre Wählerklientel schielenden – Politikern weder personelle Einschnitte im Verwaltungsapparat noch das Einfrieren von Löhnen oder Pensionen populär.

Laut der heimischen Presse will die Regierung die geforderten Einsparungen mit dem Streichen von Infrastrukturprojekten realisieren. Das neue Arrangement mit dem IWF zeige „die ganze Ideenlosigkeit der Regierung“, kommentiert bitter der „Blic“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2011)

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