Handel: Mit Visionen gegen die virtuelle Welt

Visionen gegen virtuelle Welt
Visionen gegen virtuelle Welt(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Handel hat sich derzeit einem großen Ziel verschrieben – dem Kampf um jeden Kunden, den ihm das Internet zu entreißen droht. Und erfindet dabei allerlei Skurriles.

Wie ein Ritter der Tafelrunde vor dem heiligen Gral steht Alfred Eichblatt, Geschäftsführer des Sporthändlers Hervis, vor einer schwarzen Säule und wedelt mit seinem Handy. Die Säule befindet sich in der neuen Hervis-Filiale im Einkaufszentrum The Mall in Wien-Mitte und ist ein Portal. Nicht zu einer anderen Welt, aber immerhin zum Hervis-Onlineshop, den Kunden mittels Smartphone konsultieren können.

Damit will Hervis eine Brücke zwischen dem Internet und dem stationären Handel schlagen. Denn ein immer größerer Teil vom Umsatzkuchen des Handels wird vom E-Commerce geschluckt. Einer aktuellen Studie des Marktforschers Regioplan zufolge haben sich die Online-Umsätze seit 2006 verdreifacht. Deshalb zerbrechen sich die Händler die Köpfe darüber, wie man Kunden weg vom Bildschirm und wieder ins Geschäft locken kann.

Im neuen Hervis-Shop können die Kunden weiterhin ganz klassisch einkaufen. Oder, wenn etwas nicht lagernd ist, vor Ort im Onlineshop bestellen. Sie können die Ware je nach Belieben gleich mitnehmen, sich nach Hause liefern lassen oder in eine andere Filiale. Nur bei Hervis gustieren und bei der (Online-)Konkurrenz kaufen, das sollen sie bitte nicht.


1236 km weiter westlich
. In der Nähe des Pariser Flughafens Charles de Gaulle gibt es im Niemandsland zwischen mehreren Autobahnen eine gigantische Baustelle. Hier errichtet der größte Shoppingcenter-Betreiber Kontinentaleuropas, Unibail-Rodamco, ein Einkaufszentrum der Superlative: Aeroville. Wo jetzt noch in einem Rohbau überdimensionale Stahlgerüste und nackter Beton dominieren, sollen in Zukunft auf einer Fläche von 84.000 Quadratmetern jährlich zwölf Millionen Besucher durch eine durchgestylte Konsumlandschaft wandeln.

300 Millionen Euro hat Unibail-Rodamco in dieses Projekt gepumpt. Das Design des Shoppingcenters, so verspricht es der Werbefilm, ist vom Geruch der weiten Welt des nahen Flughafens inspiriert, dessen 60 Millionen Passagiere im Jahr zu den potenziellen Kunden zählen. Der Besucherstrom soll sich an unterschiedlich designten Marktplätzen konzentrieren. Von der „Africa Lodge“ über den „Bali Market“, die „Tropenzone“ bis zum „Tokio Mix“ und „Nordic Chique“ soll für jeden etwas Passendes dabei sein. „Nur zum Einkaufen müssen unsere Kunden nicht mehr ins Einkaufszentrum kommen. 90 Prozent können sie auch im Internet bestellen. Umso wichtiger wird das Shoppingerlebnis“, sagt Unibail-Österreich-Chef Markus Pichler.


Tanzende Japaner.
Nicht immer überzeugen die Erlebniswelten des Shoppingcenter-Riesen. An manchen Pariser Standorten, etwa im „Les 4 Temps“ im von trutzigen Wolkenkratzern geprägten Büroviertel La Défense setzt man auf eine derartige Fülle heterogener Stile, dass Reizüberflutung droht.

Verschlungene Wege in Achterschleifen lotsen durch das Center. Laut neuesten Erkenntnissen soll diese Form, den Besucherstrom zu lenken, verkaufsfördernd sein. In einer Ecke übt sich eine Truppe heiterer Senioren, darunter viele Japaner, im Lime Dancing. Mitten in der Restaurantzone steht wie ein Mahnmal ein herrenloses Klavier, dazu wird Klassik aus der Konserve serviert. Nicht jedermanns Sache, aber das Zentrum ist für einen Donnerstagmittag gut besucht.

Im Shoppingcenter „So Ouest“ im Zentrum von Paris setzt man auf etwas schlichtere Ästhetik. Puristisches Weiß und viel Glas dominieren. Dafür gibt es zur Auflockerung digitale Gimmicks wie eine Fotowand, auf die man sich zusammen mit animierten Gestalten projizieren lassen kann oder ein virtuelles Aquarium, in dem man mit den Fischen interagieren kann. Als Zugeständnis an die virtualisierte Einkaufswelt haben 51 der 83 von Unibail-Rodamco betriebenen Shoppingcenter (in Österreich die SCS und das Donauzentrum) bereits iPhone-Apps und drahtlosen Internetzugang.


Fünfsternetoilette. Neben dem Einkaufserlebnis und der Verknüpfung mit dem Onlinehandel sei Komfort der dritte wichtige Geschäftstreiber für Shoppingcenter, sagt Christophe Cuvillier, CEO von Unibail-Rodamco. Dabei orientieren sich die Shoppingcenter-Betreiber zunehmend an den Qualitätsstandards von Hotels. Unibail-Rodamco hat für seine Shoppingcenter eine Sternekategorisierung eingeführt und 571 Kriterien ersonnen, die den Komfort messen sollen. Kategorisiert werden etwa der Zustand der Toiletten, die Kundenbetreuung an der Rezeption und das Parkplatzleitsystem. Auch Extras wie ein Schuhputzservice können Punkte bringen.


Entertainmentinklusive. Ein Rundum-Unterhaltungsprogramm zementiert den Mehrwert gegenüber dem Online-Shopping: In Shoppingcenter integrierte Kinos werden immer mehr zum Standard, dazu eine große Auswahl an Restaurants, Bars und Cafés, die ein breites Spectrum vom Fast Food bis zum gediegenen Restaurant abdecken. In Paris versucht man, neben internationalen Ketten auch Vertreter der lokalen Gastronomie an Bord zu holen. In das Unterhaltungs- und Verpflegungsangebot fließen immerhin neun Prozent des Gesamtportfolios von Unibail-Rodamco. „Neu designen, neu vermieten, neu vermarkten“, so Cuvillier, sei die Devise, um frisch und attraktiv zu bleiben.

Shoppingcenter sind einem immer rascheren Verfallszyklus ausgesetzt, sie müssen in immer kürzeren Abständen erneuert werden. Im Schnitt alle fünf Jahre, nach zehn Jahren schaue ein Einkaufszentrum alt aus, sagt Pichler. Dementsprechend geht die Hälfte des Budgets von Unibail-Rodamco in die Verbesserung bestehender Standorte. Auch in Österreich lässt man sich die Generalüberholung bestehender Standorte einiges kosten (Anteil Neuprojekte grüne Wiese/Sanierungen). So werden aktuell 130 Millionen Euro in den Umbau der Shopping City Süd (SCS) investiert.


Kaufkraft aus dem Speckgürtel. Natürlich versuchen Shoppingcenter nicht nur für Kunden, sondern auch für ihre Mieter das bestmögliche Umfeld zu schaffen. Denn die Händler werden immer wählerischer. Nur die Standorte, die die meisten Besucher anlocken, bekommen die gefragtesten Handelsmarken. Bevor ein neues Einkaufszentrum auf die grüne Wiese gesetzt wird, überlegt man sich genau, wie viele Kunden man anziehen kann. Aeroville etwa soll von der Kaufkraft des Pariser Speckgürtels profitieren.

„Physische Präsenz ist nach wie vor ein Schlüssel für große Marken“, ist Unibail-Chef Cuvillier überzeugt. Deshalb biete man den Mietern alle Möglichkeiten, sich möglichst attraktiv in Szene zu setzen. In Aeroville sollen zum Beispiel die Shopfassaden acht Meter hoch werden. Dann liegt es natürlich an den Shops, sich mit Kreativität von der Masse abzuheben. Denn schließlich soll das Erlebnis-Stakkato auch in den Stores nicht aufhören.

Modemarken wie Hollister oder Abercrombie & Fitch werden gern als Schulbeispiele genannt, wie man Kunden in den Shops Atmosphäre bietet, die online nicht zu haben ist. Mit dröhnender Musikbeschallung, einem eher außergewöhnlichen Lichtkonzept (Dunkelheit, Spots auf die Ware) und halb nackten Models beiderlei Geschlechts als Verkäufer punkten diese Marken bei der Zielgruppe (Teenager).


Raum für Visionen. Auch Hervis-Chef Eichblatt ist zu Ohren gekommen, dass es ohne Erlebnis heute nicht mehr rund läuft. Im der neuen Filiale in Wien-Mitte nennt man die Umkleidekabine neuerdings „Vision Room“. Dort zaubert ein Bildschirm zum Kleidungsstück das passende Ambiente. Zum Bikini erscheint ein Strand, aus den Lautsprechern tönt Meeresrauschen. Hervis-Chef Eichblatt ist von der Neuerwerbung begeistert: „Endlich haben wir das Problem gelöst, das Kunden beim Probieren von Bademode haben. Jetzt passt das Ambiente.“

Ob sich die Investitionen auszahlen werden, ist ungewiss. Klar ist: Noch nie hat sich der Handel so anstrengen müssen, um die Gunst der Kunden zu gewinnen. Das Rittern um den heiligen Gral, die gezückte Geldbörse, wird weitergehen.

ShoppingCenter-imperium

Unibail-Rodamco ist 2007 aus einer französisch-niederländischen Fusion entstanden. 2012 betrugen die Mieteinnahmen aus Handelsflächen 1,04 Mrd. Euro netto. Der Konzern hat ein Immobilienvermögen von 29,3 Mrd. Euro.

82 Shoppingcenter in zwölf Ländern Europas. Zwei davon sind in Österreich. In den Umbau der Shopping City Süd (SCS) und des Donau Zentrums (Wien) hat Unibail-Rodamco in Summe rund 300 Mio. Euro investiert.

Investitionen: 51 % werden in Renovierungen/Erweiterungen und 49 % in Neuentwicklungen wie Aeroville (Paris) gesteckt.

Sportlich

Hervis gehört zur Spar-Gruppe und hat in Österreich einen Marktanteil von 22 Prozent, 80 Filialen und 1230 Mitarbeiter. Der Umsatz geht seit 2010 zurück und betrug 2012 441 Mio. Euro.

Branche. Der Umsatz im österreichischen Sporthandel stagniert seit zwei Jahren bei 1,7 Mrd. Euro.

Onlinehandel. Einer Studie des Marktforschers Regioplan zufolge haben sich die Online-Umsätze seit 2006 verdreifacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2013)

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