Ederer: „Wir arbeiten sicher nicht zu viel“

Brigitte Ederer
Brigitte EdererMichaela Bruckberger
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Als Siemens-Managerin hat sich Brigitte Ederer von mancher SPÖ-Position entfernt. Österreicher sollten nicht nur gefördert, sondern auch gefordert werden, sagt sie.

Die Presse: Frau Ederer, wer hat recht in der Standortdebatte? Ist der Wirtschaftsstandort Österreich „abgesandelt“, oder ist alles in Ordnung?

Brigitte Ederer: Auf einzelne Aussagen will ich mich nicht einlassen. Aber wenn man die harten Fakten ansieht, muss man nüchtern feststellen, dass Österreich gut dasteht. Was aber nicht bedeutet, dass wir uns zurücklehnen können. In vielen Bereichen wird zu wenig getan.

Wo zum Beispiel?

Die größten Probleme sehe ich in der Bildungspolitik. Hier wird eindeutig zu wenig Fortschritt erzielt. Ich hatte vor 30 Jahren bessere Chancen, nach oben zu kommen, als Junge heute.

Warum das?

Als ich jung war, gab es einen Aufschwung in der Wirtschaft. Man hat sich konkret darum bemüht, dass Arbeiterkinder wie ich Chancen haben hinaufzukommen. DieDurchlässigkeit ist heute meiner Ansicht nach nicht mehr so gegeben.

Im Wahlkampf ist die Bildung nur ein Randthema. Stattdessen reden alle von der Arbeitszeit. Sie sind Personalvorstand von Siemens weltweit. Ist der Ruf der Industrie nach flexibleren Arbeitszeiten in Österreich gerechtfertigt?

Es ist klar, dass Projektarbeit gemacht werden muss, wenn sie anfällt. Dazu gibt es in Österreich Instrumente. Es gibt Länder, die weniger flexibel sind als wir. Ich glaube aber auch, dass sich das Thema Arbeitszeit als solches anders stellen wird. In den meisten Berufen wird es keine Rolle spielen, ob die Arbeit um drei am Nachmittag oder um zehn am Abend erledigt wird, wenn die Kinder im Bett sind. Das ist auch, was viele Leute wollen.

Gewerkschaften warnen aber genau vor diesen fließenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben.

Das ist aber einem starken gesellschaftlichen Wandel ausgesetzt. Es geht hier auch um die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Wenn „Die Presse“ Ihnen sagen würde, dass Sie ab 18 Uhr Ihr Handy abdrehen müssten, was würden Sie denken?

Manche Konzerne wie VW leiten am Abend einfach keine E-Mails weiter.

Das machen sie auch nur für bestimmte Mitarbeiter. Die meisten Menschen werden künftig nicht mehr für die Zeit, sondern für die erreichten Ziele bezahlt werden.

Konkret gefragt: Was halten Sie von der Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden?

Zu dem innenpolitischen Geplänkel will ich mich nicht äußern.

Die Gewerkschaft fordert stattdessen kürzere Arbeitszeiten und mehr Urlaub. Arbeiten die Österreicher zu viel?

Wir arbeiten sicher nicht zu viel.

Hätten Sie das vor 30 Jahren als junge Arbeiterkämmererin auch so gesehen?

Natürlich habe ich seitdem viel gelernt und sehe viele Dinge anders. Aber ich habe sicher nicht alle Überzeugungen über Bord geworfen, die ich mit zwanzig hatte. Dennoch habe ich gelernt, dass im internationalen Wettbewerb andere Regeln gelten, die oft zu stark an kurzfristigen Zielen orientiert sind.

An welchen Zielen ist denn Peter Löscher bei Siemens letztlich gescheitert? Wie haben Sie seine Ablöse erlebt?

Ich bitte um Verständnis, aber dazu kann und will ich nichts sagen.

Sie waren hohe SPÖ-Politikerin. Als Managerin haben Sie sich von manchen Forderungen Ihrer Partei entfernt. Sie verdienen etwa 130-mal mehr als der durchschnittliche Österreicher. Eine Summe, bei der die Sozialdemokraten gern fragen, ob das gerecht ist. Verdienen Sie, was Sie verdienen?

Das entscheiden Eigentümer, Aufsichtsräte und der Markt. Worum es mir aber geht, ist, dass Einkommensstarke entsprechend mehr zur gesellschaftlichen Solidarität beitragen. Für den sozialen Frieden in der Gesellschaft muss es Umverteilung geben. Ohne sozialen Frieden kann es schnell teuer werden, die Reichen zu beschützen.

Unterstützen Sie also den Vorstoß der SPÖ, neue Vermögensteuern einzuführen – Stichwort Millionärssteuer?

Millionärssteuer ist wieder so ein Wort, das nur den Medien gefällt. Aber natürlich muss man ab einer gewissen Summe mehr Steuern bezahlen. Ich bekenne mich zu einem progressiven Steuersystem.

Den sozialen Frieden lässt sich Österreich einiges kosten. Hat sich der „alte“ Wohlfahrtsstaat angesichts der Schuldenkrise in Europa überholt?

Nun, einerseits sind gerade Staaten mit starken Sozialsystemen gut aus der Krise gekommen. Andererseits muss man schon die Frage stellen, wo der Staat die Bürger fördern muss. Ein moderner Sozialstaat muss fördern, aber auch fordern. Der Teil bleibt leider oft ausgespart.

Können Sie konkret sagen, wo Österreich mehr fordern als fördern sollte?

Das kann ich schon, aber das will ich nicht. Solche Diskussionen bekommen in Österreich immer den falschen Spin.

Zurück zur Standortdebatte. Europa steht fünf Jahre nach Krisenbeginn nicht gut da. Wie sehen Sie als Siemens-Vorstand diese Entwicklung?

Wo ist es besser? Auch einstige Boom-Regionen sind heute instabil. Etwa China und Indien. In den USA ist fraglich, wie lang die gute Stimmung hält. Europa steht nicht schlecht da. Siemens ist zu mehr als 50 Prozent auf dem Kontinent engagiert. Es wird ein paar kleine Verschiebungen geben, aber Europa bleibt ein wichtiger Standort.

Anfang der 1990er haben Sie die Österreicher als Europastaatssekretärin auf den EU-Beitritt eingeschworen. Hätten Sie heute wieder so leichtes Spiel?

(Franz Fischlers Telefon auf dem Nebentisch läutet, es spielt die Europahymne, Anm.). Ob ich leichtes Spiel hätte, kann ich nicht sagen. Aber es wäre wieder der richtige Schritt. Sehen Sie sich doch die vergangenen Jahre an. Wie hätte ein Land allein den Finanzmarkt regulieren sollen?

Hat es Europa besser geschafft?

Es gibt eben unterschiedliche Interessen in der EU. Aber wenn Europa mit einer Stimme auftritt, haben wir ein ganz anderes Gewicht als die kleinen Nationalstaaten.

Da klingt stark die Politikerin Ederer durch. Haben Sie manchmal Sehnsucht?

Nein, Sehnsucht habe ich keine.

Sie haben einmal gesagt, Politikerin zu sein, sei der „undankbarste, kränkendste, aber faszinierendste Job“. Ist von der Faszination nichts geblieben?

Doch. Politik wird mich noch faszinieren, wenn ich neunzig bin.

So sehr, dass Sie noch einmal aktiv in die Politik zurückkehren werden?

Nein. In meinem Alter habe ich andere Lebensperspektiven vor mir.

Auf einen Blick

Brigitte Ederer (57) war Anfang der Neunziger erst Europastaatssekretärin und dann Wiener Finanzstadträtin für die SPÖ. 2001 wechselte die gebürtige Arbeitertochter und studierte Volkswirtin aus Floridsdorf zu Siemens. 2005 wurde sie Generaldirektorin von Siemens Österreich. Fünf Jahre später stieg sie in den Konzernvorstand auf, wo sie die Personalagenden des 340.000 Mitarbeiter starken Konzerns verantwortet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2013)

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