„Die Devise lautet: Gas geben, Turbo zünden“

Die Presse (Fabry)
  • Drucken

Österreich schlägt erneut Deutschland und die Schweiz. Doch der Reform-Elan lässt nach.

Berlin. (vier). Gold für Österreich, Silber für Deutschland, Bronze für die Schweiz: Was für die heimischen Fußballer bei der Europameisterschaft 2008 Utopie bleiben wird, ist für die Wirtschaftspolitiker inzwischen zur guten Tradition geworden. Zum dritten Mal in Folge führt Österreich das „Reformbarometer“ vor den beiden Nachbarländern an. In dieser Studie nehmen Wirtschaftskammer Österreich, das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und die Avenir Suisse die Wirtschaftspolitik der drei Länder unter die Lupe.

Im Vergleich zu den vorigen Jahren hat Österreich zwar seine Spitzenposition verteidigt, aber Federn lassen müssen. Der Reformeifer sei erlahmt, eingebremst zunächst von der Regierungsbildung und dann von der Großen Koalition in Wien, lautet die Analyse.

Harald Kaszanits von der Wirtschaftskammer empfiehlt denn auch die Devise: „Gas geben, Turbo zünden!“ Die Wirtschaftsdaten könnten sich ja durchaus sehen lassen: 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum heuer, prognostizierte 2,5 Prozent für 2008. Die Zeichen für eine Vollbeschäftigung, für einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf unter vier Prozent, stünden gut. „Österreich ist es noch nie so gut gegangen wie jetzt.“

Gerade Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs seien jedoch dazu angetan, Strukturreformen anzugehen. Als da wären: Gesundheits- und Verwaltungsreform. Weiters sei eine forcierte Zuwanderung unerlässlich.

Pensionsplus bringt Minuspunkt

Positiv schlug die angekündigte Abschaffung der Erbschaftssteuer sowie die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts zu Buche. Negativ bewertet wurden hingegen die Aufweichung der Pensionsreform, die Anhebung der Mineralölsteuer und die geplante Einführung eines Mindestlohns. Die Autoren mahnen auch eine stärkere Haushaltsdisziplin ein. Während Deutschland heuer erstmals seit vier Jahren schwarze Zahlen schreibt, ist das österreichische Budgetdefizit weiter ins Minus (0,8 Prozent) gerutscht.

Die drei Länder eignen sich auch deshalb so gut zum Vergleich, weil überall eine Große Koalition am Werk ist (de facto auch in der Schweiz). Strukturell sei eine solche Regierung weniger handlungsfähig als andere Konstellationen, heißt es in einer Schlussfolgerung der Studie.

Die Schweiz hat die Reformmüdigkeit abgeschüttelt und ein wenig aufgeholt. In Deutschland geht die Reformphase indessen zu Ende. In der Arbeitsmarktpolitik habe die Regierung den Rückwärtsgang eingelegt, Strukturreformen wie etwa bei der Pflegeversicherung seien nicht möglich. Für die kommenden zwei Jahre erwartet IW-Chef Michael Hüther ein Umschalten auf „Stand-by“-Modus. Ein „Kleinklein“ werde die Wirtschaftspolitik bestimmen. Wichtig wäre das Erstellen einer Themenliste, weil sich sonst ein Vakuum auftue. „Klimapolitik kann nicht alles sein“, kritisiert Hüther.

AUF EINEN BLICK

Österreich schlägt in Sachen Wirtschaftspolitik zum dritten Mal in Folge Deutschland und die Schweiz. Der Vorsprung im „Wirtschaftsbarometer“ schwindet aber. Denn laut den Studienautoren ließ der Reformeifer im letzten Jahr deutlich nach. Große Koalitionen seien weniger handlungsfähig, so die Studie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.