Alternativen zur Kaufsucht

AP (Kirsty Wigglesworth)
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Studie. Die Arbeiterkammer weist 600.000 Österreicher als akut konsumsüchtig aus. Ein WU-Professor zeigt im Gespräch mit der „Presse“ Wege aus dem Konsumwahn auf.

wien.„Jedes Suchtmittel ist attraktiv, so natürlich auch der Konsum“, schickt Michael Musalek vom Anton-Proksch-Institut voraus. Die präsentierte Studie der Arbeiterkammer über Kaufsucht in Österreich wirkt störend, mitten in den Klagen des Handels über das schleppende Weihnachtsgeschäft.

Auf den ersten Blick wirken die Zahlen tatsächlich erschreckend. Seit dem Vorjahr stieg die Zahl der Suchtgefährdeten demnach um ein Drittel auf 42 Prozent der Bevölkerung. 600.000 Österreicher sind schon heute kaufsüchtig, schätzt Karl Kollmann, AK-Konsumentenschützer. Dabei drohe vor allem den unteren Einkommen eine rasche Überschuldung. Statistisch gesehen erwischt es meist junge Frauen. Sie unterliegen dem Kontrollverlust in den Shopping-Tempeln am schnellsten. Andere Faktoren, wie Einkommen oder soziale Schicht sind laut der Studie weitgehend irrelevant.

„Einkaufen wird dann zur Sucht, wenn man immer mehr braucht, um immer kürzer glücklich zu sein“, erklärt Musalek.

Hohe Dunkelziffer

Ist also tatsächlich halb Österreich nicht in der Lage abzuschätzen, wann man kein zwölftes Paar Winterstiefel mehr braucht? Die Zahl derer, die deswegen in Behandlung sind, rücken das Bild ein wenig zurecht. Im letzten Jahr behandelten die Ärzte im Anton-Proksch-Institut nur 30 Kaufsüchtige. Die hohe Dunkelziffer sei auch ein Problem dieser Sucht, erklärt Musalek. „Sie ist noch nicht als Krankheit anerkannt“. Anders als bei anderen Süchten, gebe es auch noch keine ausgefeilten Behandlungsmethoden. Denn die Abstinenz sei kein Ausweg. Vielmehr gehe es um eine Änderung der Lebensgestaltung.

Wie es zu einer Änderung des Lebensstils kommen kann, erklärt Gerhard Vogel, Abfallexperte und Institutsvorstand an der Wirtschaftsuniversität Wien, im Gespräch mit der „Presse“. Er nähert sich mit Blick auf steigende Müllmengen dem Problem des Konsums. „Wir steuern auf einen Kollaps zu“, warnt Vogel. „Mit dem Konsum wächst auch der Müllberg – und wenn wir nicht aufpassen, wächst er uns über den Kopf.“ In Wien würde die Abfallmenge, selbst bei optimaler Ausnutzung aller Vermeidungs-Strategien, in zehn Jahren um sechs Prozent steigen, rechnet Vogel vor. So lange jeder zusätzliche Euro in materielle Güter investiert wird, gebe es keine Chance, den Müllberg vom BIP-Wachstum zu entkoppeln.

Massage statt Gartenzwerg

Die Antwort des Wissenschaftlers: Immaterieller Konsum. Kochkurs statt Gucci-Kostüm. Oper statt DVD-Box. Diese Schlagworte umreißen sein Konzept, das auf einen nachhaltigen Konsumstil setzt und so die Konsumsucht bannen soll. Das erscheint auf den ersten Blick unschlüssig. Dass Dienstleistungen weniger Abfall produzieren als klassische Konsumgüter, leuchtet noch ein. Aber kann man sich nicht auch in Wellness-Oasen ins Minus shoppen? Die Antwort des Wissenschaftlers ist klar: „Die Gefahr der Konsumsucht wäre gebannt, denn es gibt keine Möglichkeit zu immateriellen Impulskäufen.“ Der Konsum von Dienstleistungen fordert nämlich nicht nur Geld sondern auch Zeit. „Sie können nur einmal am Abend in ein Konzert gehen und nur einen Kochkurs nach dem anderen machen. Hamster- und Schockkäufe sind nicht möglich.“, sagt Vogel.

Vorteile für Regionalwirtschaft

Das neue Lebenskonzept, wie es der Abfallexperte gerne verkauft, könnte aber auch die lokale Wirtschaft stärken und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Denn immaterielle Güter sind zumeist Dienstleistungen – also Sozial- oder Kulturleistungen, die nur vor Ort erbracht werden können, führt Vogel aus. „Den Gartenzwerg kann man vielleicht billig in Vietnam produzieren, eine Heilmassage sicher nicht.“

AUF EINEN BLICK

Kaufsucht. Nach Ansicht der Arbeiterkammer sind fast 50 Prozent der Österreicher von Kaufsucht gefährdet. Ein Drittel mehr als noch im Vorjahr.

Betroffen ist, wer Shopping zum Lebensmittelpunkt macht und keine Kontrolle mehr über sein Einkaufsverhalten hat.

Die Grenzen zwischen „normalem Konsum“ und Kaufsucht sind allerdings fließend.

Die Alternative. Verstärkter Konsum von Dienstleistungen könnte ein Ausweg aus dem „Konsumrausch“ sein, meint WU-Professor Gerhard Vogel.

Denn hier wird dem Konsumenten nicht nur Geld abgenommen, sie brauchen für den Konsum auch Zeit. Das verringert die Gefahr von teuren Impulskäufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2007)

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