Wirl: „Mineralölsteuer müsste erhöht werden“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Der Wiener Ökonom und Energieexperte Franz Wirl erklärt, warum die Spritsteuern zu erhöhen wären und alternative Energieträger auch bei hohen Ölpreisen kaum eine Chance haben.

Die Presse: Die Ölpreise eilen derzeit von einem Rekordhoch zum nächsten. Wer treibt denn die Preise?

Franz Wirl:Zu einem großen Teil ist es sicher der Nachfrageschub aus Indien und China. Aber auch die Opec trägt ihren Teil dazu bei. Für das Kartell liegt die profitabelste Strategie darin, zwischen hohen Preisen bei hoher Nachfrage und und niedrigen Preisen bei schwacher Nachfrage herum zu springen, weil die Menschen dann ihr Verhalten nicht so rasch anpassen können. Eine andere Theorie sieht die Ölpreisschübe als Racheakte der Herrscher im Nahen Osten gegen den „Satan“ im Westen. Die Versuchung ist ja tatsächlich groß, den Westen mit hohen Ölpreisen zu bestrafen und im Gegenzug für ein paar Jahre Held der arabischen Straßen zu sein.

Normalerweise müssten einige Produzenten bei derartig hohen Ölpreisen die Förderung hochfahren, um Marktanteile zu gewinnen, oder?

Wirl: Als Monopolist wäre es eben nicht gut, das Angebot zu erhöhen, weil die Preise nachgeben würden. Die Opec könnte die Kapazitäten nur aus einem Grund ausweiten: Um Zuverlässigkeit auf der Angebotsseite zu demonstrieren, damit die Konsumenten nicht verängstigt werden, und womöglich keine energieintensiven Produkte mehr nachfragen. Dieses Problem wurde in den 90er-Jahren zum Teil so gelöst, dass internationale Konzerne wieder eingeladen wurden, in den Ländern zu investieren. Und diese Verträge werden teilweise heute einseitig geändert, wie in Venezuela und Russland

Die Konzerne wurden ja weitgehend verdrängt. Waren in den 70er-Jahren nur 20 Prozent des geförderten Erdöls in staatlicher Hand, sind es heute 80. Eine gute Entwicklung?

Wirl: Vor 1973 waren die „Seven Sisters“, die sieben großen Ölkonzerne, die Bösen. Wer sich noch daran erinnert, weiß um den Unterschied zwischen privaten und staatlichen Monopolen. Hätten nicht Staaten, sondern private Konzerne die Ölpreise vervierfacht (seit Anfang 2004 hat sich Erdöl von knapp 30 auf 130 Dollar je Barrel verteuert, Anm.), wären sie mit Sicherheit verstaatlicht worden. Wenn private Monopole wichtige Interessengruppen schädigen, werden sie von der Politik an die Kandare genommen. Gegen nationalstaatliche Monopole kann man im Endeffekt nichts tun.

Bei hohen Preisen laufen die Produzentenländer Gefahr, dass Alternative Energieträger marktfähig werden – das spräche wiederum für ein strategisches Dilemma, oder?

Wirl: Für die Alternativen ist das Hoch-Tief-Fahren der Ölpreise eine unangenehme Strategie. Dazu kommt, dass ein ernst zu nehmendes alternatives Substitut zum Beispiel mit 70 US-Dollar Gestehungskosten nicht in der Lage ist, den Ölstaaten den Markt komplett abzugraben. Denn im Nu wird Erdöl dann nicht mehr 140 Dollar, sondern nur noch 69 Dollar je Fass (zu 159 Liter, Anm.) kosten. Solange ein Großteil des Erdöls sehr billig aus der Erde sprudelt, wird das Geschäft mit den Erneuerbaren auf großer Ebene kein Geschäft sein.

Weil die Vorhersehbarkeit fehlt?

Wirl: Die Preisstrategie der Opec ist für jeden schlecht, der neu in den Markt eintritt, weil alle Preise sofort unterboten werden können.

Welchen Einfluss haben denn die Spekulanten auf den hohen Ölpreis? Folgen die im Grunde auch nur einem Trend oder ziehen sie selbst die Preise nach oben?

Wirl: Ich verstehe die Attacke gegen die Spekulanten nicht. Im Grunde erfüllen sie eine wichtige Informationsfunktion. Bei Produkten mit funktionierenden Spekulationsmärkten führen Engpässe rasch zu steigenden Preisen, so dass rechtzeitig reagiert werden kann. Ich wüsste aber auch nicht, wie ein Spekulant künstlich Einfluss auf das mittlere Preisniveau nehmen könnte, denn der Blase folgt wie das Amen im Gebet deren Platzen.

Ihrer Theorie der Hoch-Tief-Bewegungen zufolge müsste der Ölpreis ja schon bald wieder fallen. Wann kommt denn der Absturz?

Wirl: So bald wird das nicht sein, weil die Nachfrage nur träge reagiert. Ein Auto hat etwa eine Lebenszeit von zehn Jahren. In dieser Zeit kann der Verbraucher nicht viel ändern, außer weniger zu fahren. Langfristig ist mehr möglich. Man könnte ein sparsameres Auto fahren, auf das Wochenendhaus verzichten und stattdessen ein Theaterabo kaufen. Aber diese Umstellung dauert.

Die gängigste Einschätzung von Experten zielt derzeit darauf ab, dass sich der Ölpreis bei 100 Dollar einpendeln wird. Ist das realistisch?

Wirl: Solange die Nachfrage nicht substanziell einknickt, rechne ich weiter mit einer Phase der hohen Preise. Falls die Preise sinken, ist es aber auch gut möglich, dass die Staaten versuchen, steuerpolitisch einzugreifen. Etwa, dass sie höhere Abgaben zum Schutz der Umwelt einfordern, die im Moment sehr unpopulär wären.

Derzeit geht es eher in die andere Richtung. Zahlreiche Staaten fordern bereits eine Reduktion der Mineralölsteuern. Ist das die richtige Antwort auf hohe Ölpreise?

Wirl: Für mich ist das völlig absurd. Das ist eine Strategie, mit der Teile der Mineralölsteuer freiwillig an die Ölproduzenten transferiert werden.

Wie das?

Wirl: Nehmen wir der Einfachheit halber einmal an, dass im Moment ein Barrel an Endprodukten (Benzin, Diesel, Heizöl, etc.) 200 Euro kosten muss, um Nachfrage und Angebot auszugleichen. In diesem Fall gehen hundert Euro an die Steuer, zehn Euro kosten Raffinierung, Vertrieb etc., die verbleibenden 90 Euro bekommt die Opec. Würden nun die Steuern abgesenkt, änderte sich nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage am Endpreis gar nichts. Die Opec würde, ja müsste einfach entsprechend mehr verlangen.

Was sollte man stattdessen tun?

Wirl: Es besteht immer ein Wettstreit darum, welchen Anteil am Ölpreis sich die Produzentenländer und welchen Anteil sich die Verbraucherländer über die Steuern holen. Das einzige, das Politiker gegen hohe Ölpreise tun können, ist die Mineralölsteuer zu erhöhen und im Gegenzug die Einkommensteuer zu senken.

Nach dem Motto: Die beste Waffe gegen hohe Ölpreise sind hohe Ölpreise?

Wirl: Theoretisch zumindest teilweise, nur glaube ich nicht, dass sich Politiker das trauen. Außerdem gibt es ein strategisches Problem. Wer kann sich glaubwürdiger an eine Strategie binden? Wenn alle Abnehmer-Länder gemeinsam die Mineralölsteuer um 50 Prozent erhöhen würden, müsste die Opec die Preise senken, sonst würde die Nachfrage einbrechen. Das Problem ist, dass unsere Politiker höchstwahrscheinlich vor der Opec umfallen werden (weil kaum ein Volksvertreter wagen würde, bei hohen Treibstoffpreisen für höhere Steuern einzutreten, Anm.). Und die Opec weiß das.

Zur Person: Franz Wirl

Wer hierzulande nach Kennern der Energieszene sucht, kommt an dem 1951 geborenen Wiener kaum vorbei. Franz Wirl hat nach seinem Studium (Wirtschafts- und Planungsmathematik) immerhin sechs Jahre im Herzen der Opec verbracht. Von 1977 bis 1983 analysierte Wirl für die Kartellbrüder die Entwicklung der internationalen Ölmärkte.

Die akademische Laufbahn startete der Marktwirtschaftler 1983 am Institut für Energiewirtschaft an der TU-Wien. Nach einer Zwischenstation an der Uni Magdeburg, wurde Franz Wirl mit 1. März 2000 an den Lehrstuhl für Industrie, Energie und Umwelt an das Betriebswirtschaftliche Zentrum der Uni Wien berufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2008)

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