EU-Konjunkturprognose: Der Nimbus des Musterschülers ist dahin

(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Entgegen den Trends in der Eurozone – und anders als in Deutschland – schwächt sich das Wirtschaftswachstum in Österreich heuer spürbar ab.

Brüssel. Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen – diese Maxime des dänischen Nobelpreisträgers Niels Bohr gilt nicht nur für Bohrs Forschungsfeld Quantenphysik, sondern auch für die Volkswirtschaft. Dessen ungeachtet unternehmen die Experten der EU-Kommission dreimal im Jahr den Versuch, die Unwägbarkeiten der nahen Zukunft ins enge Korsett konkreter Zahlen zu pressen. Am gestrigen Mittwoch war es wieder einmal so weit. Im Bürokomplex Berlaymont, dem Hauptquartier der Behörde, wurde die Winterprognose 2015 präsentiert. Und dieses Mal hatten die Brüsseler Ökonomen eine gute Nachricht parat: Stimmen die Kalkulationen, dann wird die Wirtschaft in der Eurozone heuer etwas stärker wachsen als bis dato angenommen. Ging man bisher von einem BIP-Plus von 1,1 Prozent im laufenden Jahr und 1,7 Prozent 2016 aus, so lautet die nunmehrige Prognose plus 1,3 und plus 1,9 Prozent (siehe Grafik).

Dessen nicht genug: Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo wartete gestern mit guten Nachrichten auf. Das von den Münchener Experten ermittelte Konjunkturbarometer für die Eurozone weist im ersten Quartal 2015 spürbar nach oben – und zwar von 102,3 Punkten im Vorquartal auf 112,7 Punkte. Die positive Entwicklung geht auf zwei Faktoren zurück: den schwachen Euro und die fallenden Ölpreise – beide Entwicklungen seien eine „Vitaminspritze für Europa“, wie es Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici formulierte. Und das 315 Mrd. Euro schwere Investitionspaket, das die Brüsseler Behörde gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank gerade schnürt, werde für zusätzlichen Rückenwind sorgen.

Hierzulande trübe Aussichten

Während es in der Eurozone langsam wieder bergauf geht, bewegt sich Österreich in die entgegengesetzte Richtung: Die EU reduzierte ihre ursprüngliche Wachstumsprognose 2015 für Österreich von 1,2 BIP-Prozent auf nunmehr 0,8 Prozent. Die Kalkulation für 2016, die von einem BIP-Plus von 1,5 Prozent ausgeht, wurde beibehalten – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Nachfrage nach österreichischen Exportgütern zunimmt und Investitionen im Inland Fahrt aufnehmen. Nach Ansicht der Brüsseler Ökonomen droht Österreichs Wachstumspotenzial durch die Investitionslücke langsam zu erodieren. Mit einem deutlichen Rückgang der – für österreichische Verhältnisse hohen – Arbeitslosigkeit sei kurzfristig nicht zu rechnen. Was ?olgen für das Budgetdefizit haben dürfte: Das Loch im Staatshaushalt soll nicht wie ursprünglich erwartet 1,8 Prozent des BIPs ausmachen, sondern zwei Prozent – und auch das nur unter der Voraussetzung, dass alle angekündigten Sparmaßnahmen umgesetzt werden, in den Bundesländerbudgets keine bösen Überraschungen lauern und die Steuereinnahmen nicht wegbrechen. Einzig bei der Inflation bleibt Österreich Spitzenreiter: Mit prognostizierten 1,1 Prozent im laufenden Jahr werden die Preise nirgendwo sonst in der Eurozone so stark steigen wie hierzulande.



Anders die Lage in Deutschland, das heuer ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent des BIPs anpeilt. Die EU-Kommission prognostiziert ein größeres Plus in der Handelsbilanz, robusten Privatkonsum (dank einer Inflationsrate von gerade einmal 0,1 Prozent), einen Budgetüberschuss von 0,2 BIP-Prozent sowie wachsende Inlandsinvestitionen. Für Freude sorgte gestern auch ein deutliches Auftragsplus von 4,2 Prozent in der Industrie, das das Wirtschaftsministerium in Berlin für den Dezember 2014 ermittelt hat.

Etwas zuversichtlicher zeigen sich die EU-Experten auch, was das Loch im französischen Budget anbelangt: Gingen sie noch im Herbst von einem Fehlbetrag von 4,3 Prozent des BIPs im laufenden Jahr aus, so prognostizieren sie nun ein Minus von 4,1 Prozent. Frankreichs Wirtschaft wird demnach um einen Prozentpunkt wachsen – auch das eine Aufwertung, allerdings müsse Paris punkto Reformen und Konsolidierung weiter auf Kurs bleiben. Die EU-Kommission will bis März entscheiden, ob sie das französische Defizit ahnden wird. Die ges-trige Revision macht deutlich, dass Brüssel davon ausgeht, dass die französische Regierung Schritte in die richtige Richtung setzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2015)

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