Arbeitsmarkt: Viele Depressionen, wenig Krankenstände

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Über psychische Belastungen und Burn-out wird derzeit viel diskutiert. Nur wenig Betroffene gehen deswegen auch in den Krankenstand. Nicht zuletzt aus Angst um ihren Arbeitsplatz.

Wien. Wie am Dienstagabend bekanntgegeben wurde, informierte Andreas L., der Copilot der abgestürzten Germanwings-Maschine, die Lufthansa bereits im Jahr 2009 über eine "abgeklungene schwere depressive Episode". Oft verschweigen Arbeitnehmer aber ihre psychische Erkrankung: Laut Umfrage der „European Depression Association“ (EDA) hat jeder Vierte der europaweit 7000 Befragten den Arbeitgeber nicht über seine Depression informiert. Ein Drittel der Befragten hatte Angst, den Job zu verlieren. Viele setzen zwar auf medizinische Unterstützung, gehen aber erst dann in den Krankenstand, wenn die Depression oder die Angstzustände so stark sind, dass sie sich nicht mehr verheimlichen lassen.

Dies hat zur Folge, dass Krankenstände bei psychischen Erkrankungen mit mehr als 30 Tagen dreimal so lange dauern wie bei körperlichen Erkrankungen.

Millionen an Psychopharmaka

Die Techniker Krankenkasse beispielsweise ist mit 3,5 Millionen Versicherten eine der führenden gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. Laut den zuletzt verfügbaren Zahlen gab es in einem Jahr 61.000 Krankschreibungen wegen Depressionen. Das bedeutet, dass lediglich jeder sechzigste Versicherte davon betroffen ist. Doch zugleich haben die Versicherten dieser Krankenkasse in einem Jahr mehr als 35 Millionen Psychopharmaka eingenommen.

In Österreich ist die Situation ähnlich wie in Deutschland. Der „Presse“ liegen dazu die Zahlen der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) vor. Diese ist der größte Krankenversicherungsträger Österreichs und betreut mehr als 1,2 Millionen Versicherte sowie 420.000 Angehörige.

Im Vorjahr haben 192.000 Patienten etwa 2,3 Millionen Packungen Psychopharmaka auf Kosten der WGKK bezogen. Das sind rund zwölf Prozent der von der WGKK betreuten Personen. Vergleichsweise gering ist die Anzahl der Krankenstände. Im Vorjahr gab es bei der WGKK exakt 27.177 Arbeitsunfähigkeits-Meldungen wegen psychischer Erkrankungen. Davon entfielen 20.302 Meldungen auf depressive Episode und depressive Störung – diese Krankheiten findet man im internationalen Diagnoseschlüssel unter F32 und F329.

Der offene Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz kann mitunter schwierig sein. „Zwar hat sich in den vergangenen Jahren vieles gebessert. Doch teilweise hat man den Eindruck, dass psychische Erkrankungen im Arbeitskontext noch immer ein Tabuthema sind“, sagt Peter Stippl, Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie.

Oft haben Patienten Angst um ihren Job, wenn sie ihrem Chef von einer Depression erzählen. Die Sozialpartner verhandeln gerade über die Einführung von Teilzeit-Krankenständen. Dies kann unter Umständen auch psychisch Kranken helfen. „Wer sich zwei Monate auf Rehabilitation befindet, kann danach nicht gleich wieder voll einsatzbereit sein“, so Stippl.

Für depressive Patienten könne beispielsweise ein stufenweiser Wiedereinstieg ins Arbeitsleben sinnvoll sein. Wichtig sei laut Stippl aber, dass sich der Arbeitgeber tatsächlich an die Vorgaben halte. Er, so Stippl, kenne einen Fall, wo eine Patientin zwar in Teilzeit arbeite, aber trotzdem ständig erreichbar sein müsse. Eines der Probleme im österreichischen Gesundheitssystem ist, dass psychisch Erkrankte primär mit Medikamenten versorgt werden. Dagegen fehlt es an Psychiatern mit Kassenvertrag und an der Finanzierung der Psychotherapie. Derzeit nehmen pro Jahr rund 900.000 Versicherte von den Krankenkassen Leistungen wegen psychischer Erkrankungen in Anspruch – dabei handelt es sich in erster Linie um Medikamente. Aber nur bei 35.000 Personen zahlen die Krankenkassen die Kosten für eine gesamte Psychotherapie. Weitere 30.000 Patienten erhalten für die Psychotherapie einen Kostenzuschuss von 21,80 Euro pro Stunde. Dabei kostet eine Therapiestunde zwischen 70 und 100 Euro. Die Gründe für den massiven Einsatz von Psychopharmaka sind vielfältig.

300 Mio. für Psycho-Pillen

Möglicherweise verschreiben die Ärzte vorschnell Medikamente. Oder immer mehr Menschen fragen danach. Die Kosten für das Gesundheitssystem sind enorm. Im Vorjahr verzeichnete der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger exakt 14,09 Millionen ärztliche Verordnungen zu Psychopharmaka. In Summe haben die österreichischen Krankenkassen für solche Medikamente exakt 299,62 Millionen Euro ausgegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2015)

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