Führungskräfte: "Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schwierige Chefs können sich negativ auf die Psyche auswirken. Daher setzt ein neuer Lehrgang bei Führungskräften an.

Die Presse: Die Sigmund-Freud-Uni ist zur Wiener Wirtschaftsuniversität übersiedelt. Sie leiten das Institut Psyche und Wirtschaft. Warum ist die Psyche für die Wirtschaft wichtig?

Monika Spiegel: Dafür gibt es viele Gründe. Es gibt einen anhaltenden Druck auf die Beschäftigen. Viele müssen ständig erreichbar sein. Die Psyche der Mitarbeiter wirkt sich auch auf den Unternehmenserfolg aus.

Sind psychische Erkrankungen in der Wirtschaft ein Tabu?

Ja, sie sind ein absolutes Tabuthema. Jeder kann sagen, er hat eine Grippe. Doch eine Depression geben die wenigsten zu.

Warum ist das so?

Psychische Erkrankungen werden noch immer mit Verrücktsein gleichgesetzt.

Ist das beim Burn-out anders?

Der Begriff Burn-out ist so populär, weil es heißt, dass die Betroffenen für die Firma alles gegeben haben und ausgebrannt sind. Daher ist es leichter, ein Burn-out zuzugeben als eine Depression.

Welche psychischen Erkrankungen treten im Job häufig auf?

Ganz oben steht die Depression. Dann folgen Angstzustände. Und interessant ist die Sucht am Arbeitsplatz – wie Alkohol oder Arbeitssucht.

Wie sollen Chefs mit psychischen Erkrankungen umgehen?

Wenn ein Vorgesetzter merkt, dass ein Mitarbeiter depressiv wirkt, dann muss er es ansprechen. Ein offener Umgang ist wichtig.

Sollen Kollegen mit dem Mitarbeiter sprechen?

Nein, das fällt in die Verantwortung des Vorgesetzten. Natürlich merken die Kollegen die Depression oft vorher. Doch ansprechen muss es der Vorgesetzte.

Und was passiert dann?

Der Chef und der Mitarbeiter sollen über eine Verbesserung der Situation beraten. Auch Experten wie Arbeitsmediziner und Psychologen sollen hinzugezogen werden.

Was passiert, wenn der Mitarbeiter nicht einsichtig ist?

Dann kann der Vorgesetzte immer wieder empathisch und respektvoll die Hand hinhalten. Doch er kann niemanden zwingen, in den Krankenstand zu gehen.

Der Chef kann aber keine Diagnose stellen.

Das soll er auch nicht. Medizinisch ist für den depressiven Mitarbeiter der Arzt zuständig. Der Vorgesetzte soll helfen, am Arbeitsplatz Stress herauszunehmen.

Doch viele Vorgesetzte sagen: „Psychische Probleme der Mitarbeiter gehen mich nichts an.“

Klar sagen das die meisten. Doch das geht nicht mehr. Wir haben seit 2013 ein Gesetz. Darin ist definiert, dass Führungskräfte dafür auch verantwortlich sind.

Viele Mitarbeiter verschweigen ihre Depression, weil sie Angst um ihren Job haben.

Natürlich ist niemand verpflichtet, etwas zu sagen. Diese Entscheidung liegt bei jedem Einzelnen. Ein Thema wird es aber, wenn man lange Krankenstände hat. Bei Burn-out fallen die Leute mindestens vier, fünf Monate aus.

Wie ist das mit der Wiederintegration am Arbeitsplatz?

Das funktioniert meist nicht. Kommt jemand nach einer Depression zurück, ist er stigmatisiert. Er kann auch in der Anfangsphase nicht so viel arbeiten.

Kennen Sie Unternehmen, die hier vorbildlich handeln?

Ein Vorbild ist in Österreich die Erste Bank, die 2005 ein Gesundheitszentrum gegründet hat. Dort gibt es eine Vielzahl von Angeboten – von psychologischer Einzelberatung bis zum Stressabbau. Auch die Uniqa-Versicherung macht hier sehr viel.

Ist die Arbeit immer Auslöser für psychische Belastungen?

Nein, überhaupt nicht. Die Krankheit Perfektionismus steigt. Jeder will in allen Belangen perfekt sein – beim Aussehen, in der Partnerschaft, im Job. In einer Therapie geht es um den ganzen Menschen.

Stichwort Perfektionismus: Wie lässt sich das ändern?

Das Ziel in der Therapie ist es, mittelmässig zu werden. Ich kann mir erlauben, Fehler zu machen.

Wie erkläre ich das einem Chef?

Das ist genau das schwierige Thema. Denn Vorgesetzte sind normalerweise nicht Personen, welche die Mittelmäßigkeit fördern. Chefs sind meist hoch motivierte Menschen.

Und wie lässt sich das ändern?

Wir setzen im Lehrgang bei Führungskräften an. Führungskräfte sollen zuerst ihre eigene Persönlichkeitsstruktur hinterfragen. Woher kommt die erhöhte Suche nach Anerkennung? Wieso bin ich so? Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an. Wenn Führungskräfte einsichtig sind, besitzen sie auch die Fähigkeit und Empathie, bei einem anderen etwas zu erkennen.

ZUR PERSON

Monika Spiegel, geboren 1970, leitet das neue Institut Psyche und Wirtschaft an der Wiener Sigmund-Freud-Universität (SFU). Die Psychotherapeutin verfügt über eine 20-jährige Berufserfahrung in internationalen Unternehmen im Managementbereich. Im Herbst wird es einen Lehrgang für Führungskräfte rund um das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz geben. Am 18. Juni wird an der SFU ein Forum zum Thema „Wenn Arbeit krank macht“ veranstaltet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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