Jeffrey Sachs: "Die Macht der Reichen begrenzen"

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Ökonom Jeffrey Sachs traut der Politik nicht zu, Armut und Migrationsdruck zu lindern. Politik sei auf einfache Antworten spezialisiert, nicht auf komplexe Probleme.

Für die Modeschöpferin Vivienne Westwood, die ebenfalls am Europäischen Forum Alpbach teilgenommen hat, ist Ungleichheit ein Lebenselixier. Die OECD kam zu dem Befund, dass Ungleichheit Wachstum reduziert. Wer hat recht?

Jeffrey Sachs: Wenn Sie sagen, Diversität ist ein Lebenselixier, dann kann ich wahrscheinlich zustimmen. Menschen sind unterschiedlich, sie haben unterschiedliche Geschmäcker, sie spezialisieren sich auf unterschiedliche Jobs.

Bei beiden ging es aber um Ungleichheit.

Ungleichheit in dem Sinn, dass einige sehr reich und andere sehr arm sind, ist kein Lebenselixier, sondern eine Gefahr – für den Einzelnen und die Gesellschaft. Wir lassen zu, dass Geld die Politik bestimmt, während Menschen unter Mangel leiden. So gesehen liegt die OECD sicher richtig. Ungleichheit ist eine Quelle sozialen Übels.

Ist Gleichheit denn ein Ziel, das wir erreichen sollen?

Strikte Gleichheit sollte nicht das Ziel sein, denn sie steckt die Gesellschaft in eine Zwangsjacke. Aus Osteuropa und der Sowjet-Ära wissen wir, dass diese Vision zutiefst fehlerhaft war. Doch Ungleichheit unter Kontrolle zu halten, die Macht der Reichen zu begrenzen und die Armen zu schützen ist absolut erreichbar. Und wenn Sie in sozialdemokratische Länder wie Schweden schauen, können Sie sagen: Es ist nicht nur eine Debatte, es ist die Realität.

Was ist mit Österreich?

Österreich hat hier eine mittlere Position. Ich kenne das Land nicht so gut, aber ich denke nicht, dass Ungleichheit in dieser Gesellschaft eine erdrückende Last ist. Was sich aber zeigt: Man kann zwar Ungleichheit in den eigenen, reichen Ländern verringern – aber die Welt ist höchst ungleich. Und es ist schwer, eine Insel zu bleiben. Es gibt viel Druck. Das sieht man aktuell auch beim Thema Migration.

Wie kann man das Problem der Migration lösen?

In der Tat ist das ein ungelöstes Problem – über das wir auf globaler Ebene reden sollten. Wir haben keine Richtlinien und keine Standards. Uns fehlen sowohl ethische wie praktische Zugänge. Täglich sterben Menschen. Wir haben nicht einmal eine schlüssige Debatte: Größtenteils profitieren die Politiker des rechten Flügels.

Finden Sie, wir sollten die Grenzen öffnen?

Ich glaube, Gesellschaften haben das Recht, die Migration zu beschränken. Die einzelnen Volkswirtschaften würden völlig offene Grenzen nicht verkraften. Und speziell jene Länder, die viele Transferleistungen bieten, sind ein Magnet für die Armen dieser Welt.

So argumentieren auch die Rechtsparteien.

Das ist wahr, doch das Argument ist trotzdem nicht falsch. Was sollen wir machen? Erstens: die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsländern der Migranten fördern. Dann sagen die Rechtspolitiker aber: Wir wollen nicht so viel für Entwicklungshilfe ausgeben. Zweitens: das Klima schützen, denn es gibt ja längst enorme Umweltmigration. Drittens: Standards entwickeln, denn Gesellschaften können sich nicht völlig verschließen. Und viertens: einen Ausgleich für Länder schaffen, die mit vielen Migranten konfrontiert sind wie Italien oder Griechenland. Der Rest Europas sollte sich zumindest an den Kosten beteiligen.

Auch Österreich erlebt einen enormen Flüchtlingszustrom.

Ja, hier sollte es eine finanzielle Beteiligung geben. Darüber hinaus haben wir die Verantwortung, Kriege – die wesentlichste Ursache für Migration – zu beenden. Das sind komplizierte Probleme, und auch die Antworten sind kompliziert. Und unser großes Problem ist, dass die Politik auf einfache Antworten spezialisiert ist. Politiker hassen das Thema, weil es so schwierig ist. Daher wollen sie nicht darüber reden – und deswegen haben wir keine Standards für Migration.

Zurück zu einer grundsätzlicheren Frage: In welchem Umfang ist Ungleichheit denn auch gesund und gut?

Ich bin da bei Aristoteles: Zu viel oder zu wenig ist eine Gefahr – also versucht man, einen Mittelweg zu finden.

Viele argumentieren, dass es ohne Ungleichheit keine Innovation gäbe.

Ja, die Anreize würden fehlen. Wir wissen, was passiert, wenn jeder gleich viel verdient – unabhängig von Anstrengung, Fähigkeiten, Glück oder Leistung: Niemand würde sich anstrengen. Und der Zynismus hätte Hochkonjunktur. Keiner würde mehr ein Risiko eingehen – und versuchen, es sich in seinem Privatleben so gut wie möglich einzurichten.

Wie kann man in einem Land Ungleichheit reduzieren? Geht das nur durch Umverteilung?

Das zentrale Vehikel war in der Praxis eine hohe Steuerquote, die dann in universellen Zugang zu Gesundheit und Bildung gesteckt wird. Das ist die einfache Antwort in einem Satz – und hier liegt der Unterschied zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten.

Viele Menschen in Österreich fühlen sich durch das Steuersystem allerdings unfair behandelt.

Natürlich, jeder beschwert sich über Steuern. Aber Länder, die ihr Nationaleinkommen in Summe mit 45 Prozent besteuern, ermöglichen tendenziell gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Gesundheit, weisen weniger Armut und höhere soziale Mobilität auf. In den USA beträgt die Quote 30 Prozent. Wir besteuern weniger und wenden also weniger öffentliche Mittel für Gesundheit, Bildung und Sozialtransfers auf. Und es ist kein schönes Bild, das dabei herauskommt.

In Österreich werden immer wieder höhere Vermögensteuern diskutiert. Was halten Sie davon?

Eine moderate Vermögensteuer ist grundsätzlich eine gute Idee. Für die USA habe ich eine Steuer von ein Prozent auf den Nettowert großer Vermögen vorgeschlagen – die Schranke könnte dabei bei mehreren Millionen liegen. Wir müssen ja nicht zu Steuern greifen, die einer Beschlagnahmung gleichkommen. Wichtiger als die genaue Struktur des Steuersystems ist aber das allgemeine Level: Es sollte genug da sein, um die sozialen Bedürfnisse zu decken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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