Pro-Kopf-Einkommen: Reiches Ländle, armes Wien

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Vorarlberg erzielt erstmals das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller Bundesländer. Wien fällt vom ersten Platz (im Jahr 2011) auf den vorletzten (2014) zurück. Aber die Statistik hat ihre Tücken.

Der wohlhabende Westen galoppiert dem Rest Österreichs davon: In Vorarlberg ist die Wirtschaft im Vorjahr am stärksten gewachsen. Aber nicht nur das: Der westliche Außenposten steht auch erstmals an der Spitze bei den Pro-Kopf-Einkommen. Am zweitbesten hat sich Tirol entwickelt. Wien hingegen fällt weiter zurück: Noch 2011 wies die Bundeshauptstadt das höchste Pro-Kopf-Einkommen aus, bis 2014 ist sie auf den vorletzten Platz zurückgefallen. Das weist die Statistik Austria in ihrer am Montag präsentierten „Regionalen Gesamtrechnung“ aus.

Wien im freien Fall? Der spektakuläre Abstieg macht stutzig. Und tatsächlich hat die Statistik Tücken. Zunächst: Erhoben werden verfügbare Einkommen, nach Steuern, Sozialtransfers und Finanzausgleich zwischen den Ländern. Das macht die Unterschiede recht gering: 1800 Euro im Jahr zwischen Vorarlberg und dem Schlusslicht Kärnten. Deshalb erkennt man, wenn man die Einkaufsstraßen von Bludenz und Völkermarkt vergleicht, kein drastisches Wohlstandsgefälle – was auch der staatlichen Umverteilung zu verdanken ist. Denn betrachtet man die Wertschöpfung pro Kopf, also was an Gütern und Dienstleistungen produziert wird, sind die Unterschiede gewaltig: Das Burgenland erwirtschaftet pro Kopf nur wenig mehr als die Hälfte der Nummer eins – und das ist, seltsam genug, immer noch Wien.

Speckgürtel und Migration

Die Diskrepanz ist rasch geklärt: Das Bruttoregionalprodukt (BRP) pro Kopf setzt das, was die Menschen, die in einer Region arbeiten, an Werten schaffen, in Bezug zur Zahl der Menschen, die dort wohnen. Das schafft Verzerrungen, wo es viele Pendler gibt – bei Metropolen mit ihren Speckgürteln. Pendler sorgen für Wertschöpfung in der Stadt, leben aber auf dem Land, dem ihre Einkommen zugerechnet werden. Wenn immer mehr Besserverdiener ins niederösterreichische Umland ziehen, fällt das Pro-Kopf-Einkommen in der Stadt selbst. Umso mehr, als sich das Gros der Migranten in Wien ansiedelt. Denn zumindest anfangs verdienen sie im Schnitt weniger als die Einheimischen.

Diese Situation wird sich durch die Flüchtlingswelle verschärfen. Freilich: Wenn durch Zuzug die Pro-Kopf-Einkommen sinken, ist das per se noch kein ökonomisches Problem, solang nicht auch die Einkommen der Einheimischen sinken. Mittelfristig ist eine steigende Einwohnerzahl sogar eine Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum – was sich, ins Negative gedreht, am Beispiel Kärnten zeigt: Das Bundesland im Süden fällt auch deshalb immer weiter zurück, weil es das einzige ist, dessen Bevölkerung schrumpft. Es kommt darauf an, die Ankommenden möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das aber verursacht Kosten, weshalb Statistik-Chef Konrad Pesendorfer eine „faire Aufteilung“ der Flüchtlinge fordert: „Wien kann die ganze Last des Zustroms nicht allein bewältigen.“ Fest steht: Um die aktuellen Daten gut interpretieren zu können, klammert man Wien und Niederösterreich besser aus. Was dann als Fazit bleibt: Wirtschaftlich leistungsstarken Ländern wie Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich stehen deutlich schwächere gegenüber – Steiermark, Kärnten und Burgenland. Wobei sich das östlichste Bundesland seit eineinhalb Jahrzehnten zumindest beim verfügbaren Einkommen erfreulich vorarbeitet, vom Schlusslicht ins Mittelfeld. Wer wissen will, wie es um seine Gegend bestellt ist, sollte sich ohnehin besser an die Einteilung in kleinere Regionen halten („NUTS 3“ nach EU-Definition; siehe Österreich-Karte). Ein Beispiel: Graz und sein Umland stehen viel besser da als das Mühlviertel, auch wenn sich insgesamt in Oberösterreich wirtschaftlich mehr tut als in der Steiermark.

Warum aber zieht Vorarlberg allen davon? Um 3,8 Prozent ist seine Wirtschaft 2014 nominell gewachsen, im Vergleich zu zwei Prozent im Bundesschnitt. Das Ländle hat eine besonders starke Industrie. Und es ist klein, weshalb hohe Umsatzzuwächse bei führenden Firmen wie Blum, Rhomberg, Doppelmayr oder Gebrüder Weiß stark ins Gewicht fallen. Dazu kommt, als zweites Standbein, der Qualitätstourismus am Arlberg. Wobei die Betonung wohl auf Qualität liegen muss: Zwei der sechs besten Kleinregionen, Bludenz-Bregenzer Wald und das Tiroler Außerfern, verdanken ihren Wohlstand dem Fremdenverkehr. Aber der Tourismus ist auch in Oberkärnten dominant, der fünftschwächsten Kleinregion. Wenn es um die Wirtschaftskraft geht, ersetzt der Urlaub auf dem Bauernhof nicht das Luxushotel.

LEXIKON

Das BRP (Bruttoregionalprodukt) misst die Wirtschaftsleistung eines Bundeslandes oder einer Region. Die Statistik Austria weist die Werte und ihr Wachstum nicht real, sondern nur nominell aus, weil es noch keine regionalen Inflationsraten gibt.

NUTS 3 ist eine räumliche Abgrenzung für kleine Regionen und Ballungsräume in der EU-Statistik. Für sie gibt es auch europaweite Rankings. In Österreich hat Linz-Wels das höchste BRP pro Einwohner, gefolgt von Salzburg und Umgebung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)

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