Alpine: Eine Mauer, auf die alle stolz sind

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Für Bulgarien ist es das erste große Bauprojekt seit 20 Jahren, für den heimischen Baukonzern Alpine die Visitenkarte für den Eintritt in einen jungen Markt und lukrative Folgeaufträge – allen Problemen zum Trotz.

Devin. Von einem Hügel aus betrachtet, passiert an diesem Tag nicht viel auf der größten Wasserkraftbaustelle Europas. 200 Meter weiter unten rumpelt ein gelber Riesen-Lkw durchs Tal, blau gekleidete Arbeiter gehen langsam herum und sehen aus wie Ameisen. Irgendwo in der Ferne brummt ein Dieselgenerator, und trotz der sengenden Hitze knapp unter 40 Grad im Schatten hört man fröhliches Vogelgezwitscher. Fährt man durch das unbewohnte Tal im südbulgarischen Rodopen-Gebirge bis zum nächsten Hügel und biegt dann ab, wird deutlich, dass hier nicht immer so wenig los ist.

Dem Betrachter eröffnet sich die Sicht auf ein gigantisches Bauwerk: eine Mauer, so breit wie mehrere Fußballfelder und mit 131 Metern fast so hoch wie der Wiener Stephansdom. Quer durchs ganze Tal spannen sich von einer Bergspitze zur anderen Stahlseile, an denen ein zwanzig Meter langer Kabelkran hin- und hergleitet. Am oberen Rand der Mauer stehen weitere Kräne und schweres Baugerät. „An Weihnachten machen wir zwei Wochen Pause. Ansonsten arbeiten wir ununterbrochen, rund um die Uhr“, sagt Peter Gfrerer und fügt dann hinzu: „Seit Anfang 2005.“

Emotionslos ist niemand

Gfrerer leitet die bulgarische Niederlassung des österreichischen Baukonzerns Alpine. Er gehört zu den wenigen Österreichern, die seit Beginn des Projekts vor Ort sind. Und er wird zu denen gehören, die als Letzte gehen – wenn das Tal ab dem Sommer nächsten Jahres auf 25 Kilometern geflutet wird. Dreieinhalb Monate dauert der sogenannte Einstau, danach kann das Kraftwerk Tsankov Kamak in der Nähe des Städchens Devin den Betrieb aufnehmen. Für die 1300 Beschäftigten am Projekt sicher ein bewegender Moment. Ob man mit Ingenieuren oder Bauarbeitern spricht – es gibt niemanden, der ohne Emotionen über das Projekt reden kann.

Rund 50 meist österreichische Leiter und rund 1250 mehrheitlich bulgarische Arbeiter bauen zusammen an Tsankov Kamak. Mangels Fachpersonals wurden viele der Arbeiter von Alpine eigens für das Projekt eingelernt, einige waren schon bei der Errichtung anderer Wasserkraftwerke dabei – aber niemand bei einem so großen. Der Salzburger Konzern Alpine baut weltweit Tunnel, Brücken, Stadien. Aber auch für Alpine ist dies ein Auftrag der Superlative. „Autobahnen oder Straßen baut man allemal. Aber ein solches Stauwerk – das ist schon etwas Besonderes“, sagt der Ingenieur Hans Döpper.

Auftraggeber ist die staatliche bulgarische Energieagentur NEK. Bei der Ausschreibung hat sie für den Bau ein Volumen von 160 Mio. Euro veranschlagt, die Planungen gingen von einer Fertigstellung Anfang 2008 aus. Doch es kam anders. Inzwischen liegen die Kosten bei 326 Mio. Euro. Schuld daran ist nicht zuletzt das eingangs erwähnte Seitental: Wegen ungenügender Analysen des Bodens gingen bulgarische Planer von einer Abdichtung mit Spritzbeton aus. Doch die 100 mal 800 Meter große „Badewanne“ musste mit viel aufwendigerem plombierten Beton bedeckt werden, was die Kosten für die Bebauung des Seitentals verfünffacht hat. Zusätzlich wurde der Fluss umgeleitet, eine neue Straße gebaut und eigens für die Baustelle ein Stromnetz gelegt.

Nicht größer als der Wienfluss

Aus der gesamten Bausumme entfallen 250 Mio. Euro auf Alpine. Von der zum Andritz-Konzern gehörenden VA Tech Hydro kommen die Turbinen. Aufgabe des Bauwerks wird es sein, mit einer Leistung von jährlich 188 Gigawattstunden Strom für rund 100.000 Haushalte zu liefern. Tsankov Kamak soll im sogenannten Schwellbetrieb laufen: Ein kleines Flüsschen namens Vacha, das kaum größer ist als der Wienfluss, füllt das riesige Reservoir. Zu Zeiten mit einem Spitzenbedarf an Strom, meist morgens und abends, wird Wasser abgelassen.

Finanziert wird das Kraftwerk über den Kredit eines internationalen Bankenkonsortiums unter Führung der Bank Austria. Die Österreichische Kontrollbank tritt als Versicherer auf, der bulgarische Staat garantiert die Rückzahlung durch die NEK. Auch die Bundesrepublik Österreich ist mit einem Anteil von zehn Prozent an der Finanzierung beteiligt und erhält im Gegenzug CO2-Emissionszertifikate mit einem Volumen von einer Mio. Tonnen CO2.

Bis vor wenigen Tagen der 500.000. Kubikmeter Beton in die Wand gegossen werden konnte, standen nicht nur geologische Probleme an. Auch das wirtschaftliche und politische Umfeld sind alles andere als einfach. Alpine-Chef Dietmar Aluta-Oltyan beschreibt die Lage ziemlich eindeutig: „In Bulgarien passiert im Moment überhaupt nichts. Das Niveau der Budgets für Infrastruktur geht stark gegen null.“ Der Wechsel an der Regierungsspitze und der Stopp der EU-Mittel hätten alle Bauvorhaben zum Stillstand gebracht. Doch Tsankov Kamak wurde nicht gestoppt: „Das ist eine wichtige Großinvestition für die Gesellschaft und das erste große Projekt seit 20 Jahren“, so NEK-Chef Ludomir Velkov.

Aluta-Oltyan zufolge erwirtschaftet Alpine inzwischen rund 25 Prozent seiner Gesamterträge in Osteuropa und hofft entsprechend auf einen Folgeauftrag mit einem Volumen von 500 Mio. Euro nur wenige Kilometer von Tsankov Kamak entfernt. Aluta-Oltyan: „Die Aussichten sind gut.“

auf einen blick

Energie. Der Baukonzern Alpine sieht sich trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten Bulgariens in der Fertigstellung des größten Einzelauftrags in Osteuropa in der Zielgeraden. Das Wasserkraftwerk Tsankov Kamak soll dem Baukonzern gleichzeitig wertvolle Folgeaufträge sichern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2009)

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