Den Pelz im Blut

Symbolbild Pelz
Symbolbild PelzMichaela Seidler
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Im Freihausviertel, einst Wirkungsstätte Hunderter Pelzproduzenten, hält Kürschnermeister Johann Jouja die Stellung. Von einem, der die Zeichen der Zeit erkannte, sich anpasste – und dennoch am liebsten von den goldenen Tagen der Zunft erzählt.

Ein brauner Nerz ist ein brauner Nerz ist ein brauner Nerz. Wenn es nach Johann Jouja geht, gilt Gertrude Steins oft bemühter Satz in dieser Abwandlung nicht. „Nein, es gibt Hunderte braune Nerze“, betont der Wiener Kürschnermeister. (Stein dürfte es ihm danken.)

Jouja und sein kleines Geschäftslokal mit der goldenen Türklingel im Wiedner Freihausviertel verbindet eine lange Geschichte mit offenem Ende. 1969 begann der heute 65-Jährige seine Lehre bei Kürschnermeister Paul Grosz in eben jener kleinen Werkstatt hinter dem Verkaufsraum, in dem er heute empfängt. Ein großer freistehender Kachelofen beheizt heute wie damals den Raum. Die gläserne Decke sorgt für Tageslicht. Der alte, ausgetretene Steinfußboden und die schönen, von den Jahren gezeichneten Werktische, Bänke und Kommoden erzählen von der arbeitsamen Vergangenheit. Kleiderpuppen, Pelznähmaschinen, halb fertige Mäntel, Stolen, Jacken und Hüte belegen die freien Ecken. „Ich war wahrscheinlich der schlechteste Lehrling“, erinnert sich Jouja an seine erste Zeit in Grosz' Werkstatt. Er, der eigentlich am liebsten Fotograf oder Radiotechniker geworden wäre, der winters hinter dem großen Kachelofen eindöste und nachmittags lieber André Heller in der Ö3-Musicbox hörte, als ruhig an seiner Pelzmütze weiterzuarbeiten.

Schon der Vater besaß eine Gerberei in Atzgersdorf am Rande Wiens und ein Kürschneratelier am Währinger Gürtel. Die Mutter, eine gelernte Schneiderin, arbeitete als Verkäuferin bei Grosz, der auch einen Pelzgroßhandel auf der Landstraße betrieb. Der Pelz lag demnach – trotz aller Technikaffinität – wohl in den Genen.


Die Welt von gestern. Jouja erzählt gern von früheren Zeiten – besseren Zeiten für die pelzverarbeitende Branche, lange bevor Damen in feinen Nerzmänteln von Umweltaktivisten mit Farbeimern attackiert wurden. In den Siebzigern hätte es im Freihausviertel, einem Ballungszentrum der Branche seit den Habsburgertagen, um die 450 Kürschner gegeben. Im Umkreis von nur hundert Metern um sein kleines Geschäft lagen davon alleine 17, erinnert er sich. Heute sind es laut der Mitgliederstatistik der Wirtschaftskammer 39 in Wien, 79 in ganz Österreich – Tendenz sinkend. Zehn der Wiener Meister stünden noch aktiv in ihren Werkstätten. Der Rest wartet auf die Pension oder betreibt lediglich noch eine Boutique mit zugekauften Mänteln, so die Schätzung Joujas. Früher ein rebellischer Schüler, ist er heute selbst als Lehrlingsausbildner in der Innung tätig und kennt sie in- wie auswendig.

Rebellische Schüler – Schüler generell – sind heute Mangelware. In der aktuellen Lehrlingsstatistik der Kammer prangt eine einsame 1. Das bedeutet: Ein einzelner Lehrling wird derzeit in Österreich zum Kürschner ausgebildet. Wenig verwunderlich, dass sich die Berufsgruppe irgendwann nicht mehr durchsetzen konnte und ihre Ausbildung in dem Zweig der Bekleidungstechnikerlehre aufging, in dem die Schneider deutlich in der Überzahl sind. „Wir haben immer gesagt, wir gehören nicht zu ihnen“, betont Jouja – schließlich arbeite man nicht mit Bügelautomaten, Scheren oder Steppmaschinen. Solche Argumente zogen angesichts des ausbleibenden Nachwuchses irgendwann nicht mehr.

Die Jungen wüssten nicht, was ein Kürschner überhaupt ist, noch könnten sie etwas mit Pelzen anfangen, konstatiert der 65-Jährige. Säure- und Farbattacken von wütenden Aktivisten hätten das Schrumpfen des Handwerks in den vergangenen Jahrzehnten zusätzlich beschleunigt. Viele talentierte Kürschner aus seinem Bekanntenkreis wären in die Pension oder in andere, weniger boykottierte Berufe geflohen. Dem nachlassenden Interesse und Wissen steht eine Flut von Persianern, Nerzen, Biber- und Kaninchenfellmänteln gegenüber, die mit dem Generationswechsel auf den Markt kommen. Zwei Millionen ungeliebte Erbstücke aus den großmütterlichen Kleiderkästen fänden so gerade ihren Weg zurück zu Pelzwelthandelszentren wie in Frankfurt am Main, zitiert Jouja eine deutsche Studie. Verbringt man eine vormittägliche Stunde im Wiedner Atelier mit der goldenen Klingel, weiß man, wovon er spricht. Zweimal läutet das Telefon. Zweimal sind es Kundinnen, die nachfragen, ob Jouja Interesse am Erwerb eines gut erhaltenen, alten Mantels hätte. Die Antwort ist immer dieselbe – immer sehr zuvorkommend, aber etwas müde: „Bringen Sie ihn bitte her, ich sehe ihn mir an.“

Wie oft Kunden neue Kreationen in Auftrag geben würden? „Selten, sehr selten“, ist Jouja ehrlich. Allerdings kann er sie oft davon überzeugen, das schöne Material als Innenfutter für den Wintermantel zu verwenden oder zu einer Decke, einem Jäckchen oder Cape umschneidern zu lassen. Um das Lager zu entlasten, kommt der Rest der privaten Schätze zu Beginn jeder Adventzeit, bevor der Schmuck und das Lametta auf den freien Ladenflächen regieren, zum Verkauf. Ein gebrauchter, gut erhaltener Nerz, der einst 6000 Euro kostete, findet dann für rund 100 einen neuen Besitzer. Und Jouja, der die Kommissionsarbeit übernimmt, freut sich über den frei gewordenen Platz in seinem Lager.


Ein pelziger Himmel.
Jetzt im Mai, nach dem Winter, quillt es über vor noch unbearbeiteten Tierfellen und Mänteln, die ihm die Kundschaft über den Sommer zur Verwahrung anvertraut. „Jetzt ist Aufbewahrungszeit“, sagt Jouja und öffnet die Türe zum Herzstück des Ladens. Hier hängen sie wie die schlafenden Tiere. Die Schwänze und Hinterpfoten der Rotfüchse bilden eine schimmernde Felldecke. Sie verdeckt den Blick auf die eigentliche meterhohe Steindecke. Der gedrungene Luftraum zwischen Tier und Mensch erweckt in Kombination mit den Reihen der dicht behängten Kleiderständer das Gefühl, als würde man durch eine Mischung aus großmütterlichem Kleiderschrank, Jagdhütte und Kostümfundus wandeln.

Joujas Mutter, mittlerweile 92 Jahre alt, kommt jeden Nachmittag ins Geschäft. Jetzt, in der „Aufbewahrungszeit“, sei sie die Hauptverantwortliche für das Ausbürsten, Verstauen und Ausbessern der abgegebenen Wintermäntel, berichtet er, ganz offensichtlich stolz auf ihre Fitness. Abgesehen von seiner Mutter, die zum Zeitvertreib weiterarbeitet, beschäftigt der Kürschner nur noch eine Schneiderin halbtags. Er habe die Konsequenzen aus dem Rückgang des Geschäfts gezogen. Als die Auftragslage dünner wurde, musste er seine sechs Mitarbeiter nach und nach abbauen. Er wollte es anders machen als sein Vater, der nie Freizeit hatte. „Er hat im Sommer für seine Mitarbeiter gearbeitet.“

Johann Jouja und seine dezimierte Truppe war nicht immer im Freihausviertel zu finden. Zwischen dem Beginn seiner Lehrzeit bei Paul Grosz und seiner Rückkehr in die Margaretenstraße Nummer 5 liegen 30 Jahre. In diesen arbeitete Jouja zuerst in einer größeren, international exportierenden Werkstatt auf der Lerchenfelder Straße, später in seinem eigenen Geschäft nahe dem Südbahnhof. Gerade als er 1999 ins Hotel Marriott am Parkring übersiedeln wollte, rief sein ehemaliger Lehrmeister Grosz an: „Du Hansi, willst du mein Geschäft nicht haben? Ich gehe in Ruhestand.“ Seitdem ist Jouja wieder auf der Wieden zu finden.

Den nackten Zahlen nach könnte auch er bereits in den Ruhestand gehen. Doch er arbeitet weiter. Abwartend, ob sein Sohn Marcel eines Tages sein Geschäft übernehmen will. Denn dieser ist in dritter Generation ebenfalls Kürschner und längst kein Unbekannter in der Wiener Modeszene, in der er sich mit seinen Vintage-Parkas mit recyceltem Nerzfutter einen Namen gemacht hat. Der Pelz liegt der Familie Jouja wohl tatsächlich im Blut.

Ortskunde

Die Werkstatt von Kürschnermeister Johann Jouja findet sich in derMargaretenstraße Nr. 5.Nach einem Druck auf die goldene Klingel rechts vom Eingang öffnet einem der Chef persönlich.

Jouja, einer der letzten 39 aktiven Kürschner Wiens, absolvierte in der kleinen Werkstatt in den 60ern und 70ern schon seine Lehrzeit.

1999 kam er über Umwege zurück an die Wieden. Seit damals kann man bei ihm Kürschnerarbeiten aller Art in Auftrag geben: Maßanfertigungen, Reparaturen, Umarbeitungen sowie Verwahrung und Reinigung der Pelze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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