"Flüchtlinge sitzen in der Schule nur die Zeit ab"

Die Presse (Akos Burg)
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Außenminister Kurz und der frühere deutsche Wirtschaftsminister Clement diskutieren über die Sinnhaftigkeit von Ein-Euro-Jobs und die Schwierigkeit, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Die Presse: Herr Clement, Sie waren als Wirtschaftsminister in der Regierung Schröder maßgeblich dafür verantwortlich, dass Hartz IV eingeführt wurde. Mittlerweile ist von Ein-Euro-Jobs die Rede. Ist das jetzt quasi die neoliberale Weiterentwicklung von Hartz IV?

Wolfgang Clement: Hartz IV hat mit Ein-Euro-Jobs nichts zu tun. Ein-Euro-Jobs dienen dazu, Menschen in Beschäftigung zu bringen, damit sie sich wieder an Arbeit gewöhnen, wieder in einen Arbeitsrhythmus kommen. Wir haben seinerzeit in Deutschland Hunderttausende mit solchen Jobs aus der Erwerbslosigkeit geholt. Vor allem mit sozialen Tätigkeiten auf kommunaler Ebene.

Aber hat sich das auch nachhaltig bewährt?

Clement: Es ist sicher kein Allheilmittel. Aber in der aktuellen Diskussion geht es ja um Flüchtlinge, die länger im Land sind. Ich denke auch, dass Flüchtlinge in der Arbeit die Sprache oft schneller erlernen als auf der Schulbank.

Es geht also vielmehr um Integrationsjobs?

Sebastian Kurz: Wir haben eine sehr hohe Zahl an Arbeitslosen unter den Flüchtlingen. Wir rechnen damit, dass nach fünf Jahren noch immer zwei Drittel der Flüchtlinge keinen Job gefunden haben werden. Es stellt sich die Frage: Möchte man, dass sie mit der Mindestsicherung nur versorgt sind und den ganzen Tag im Park herumsitzen? Wenn man will, dass sie einen Beitrag leisten, Selbstwertgefühl erlangen, Respekt vor der Mehrheitsbevölkerung bekommen, dann muss man gemeinnützige Arbeitsmöglichkeiten schaffen.

Selbstwertgefühl und Respekt schön und gut, aber sollten diese Menschen nicht so schnell wie möglich auf dem regulären Arbeitsmarkt ihren Beitrag leisten?

Kurz: Von den Flüchtlingen, die zu uns kommen, sind einige noch nicht einmal alphabetisiert, haben einige noch nie gearbeitet. Der gemeinnützige Job, bei dem man lernt, tagtäglich aufstehen zu müssen, pünktlich zu erscheinen, sich auch an unsere Umgangsformen gewöhnt, kann auch eine sinnvolle Vorbereitung auf den Arbeitsmarkteinstieg sein.

Soll man bei Ein-Euro-Jobs einen Unterschied zwischen Flüchtlingen und Einheimischen machen?

Clement: Es geht ja im Wesentlichen um junge Männer. Wenn man die länger als ein Vierteljahr in einer Flüchtlingsunterkunft unterbringt, ist das ein Problem. Es spricht viel dafür, dass man für diese Leute eine Beschäftigung sucht. In Deutschland wird argumentiert, dass Flüchtlinge genauso behandelt werden wollen wie deutsche Arbeitnehmer. Aber wenn man das tut, wird man bei der Integration scheitern. Denn die Flüchtlinge, die oft über keinerlei Ausbildung verfügen und die Sprache nicht beherrschen, können in kein normales Arbeitsverhältnis gelangen.

Aber entlässt nicht auch unser Bildungssystem Tausende Jugendliche, die unzureichend lesen und schreiben können und keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben?

Kurz: Wir haben ein massives Problem mit Kindern mit Migrationshintergrund. Unser Schulsystem führt diese Kinder als außerordentliche Schüler. Das bedeutet, dass sie nicht benotet werden. Das führt dazu, dass jemand zwei, drei Jahre in der Schule absitzt, niemals benotet wird und dann seine Schullaufbahn beendet, ohne lesen, schreiben und rechnen zu können, ja nicht einmal ordentlich Deutsch kann. Dass diese Kinder kaum Chancen auf einen Job haben, ist leider von vornherein klar.

Wie begegnet man dieser Entwicklung?

Kurz: Es braucht eine Bildungspflicht, die nicht darauf abzielt, dass einer eine gewisse Zeit absitzt, sondern die gewährleistet, dass ein gewisses Niveau erreicht wird.

Sie, Herr Clement, sind ja der Meinung, dass Deutschland mehr Zuwanderer benötigt.

Clement: Ja, qualifizierte Zuwanderer allerdings. Wir brauchen eine Zuwanderung, die sich am Bedarf des deutschen Arbeitsmarktes orientiert. Man muss zwischen Flüchtlingen und Zuwanderern unterscheiden. Wir gehen ja davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Flüchtlinge wieder nach Syrien zurückkehren werden.

Aber es geht ja längst nicht nur um Flüchtlinge aus Syrien.

Kurz: Dass so viele Menschen gekommen sind, hängt damit zusammen, dass die Grenzen offen waren. Den Syrien-Konflikt gab es vor fünf Jahren auch schon. Wenn wir eine Politik der offenen Grenzen machen, dürfen wir uns nicht wundern, dass sich die Menschen auf den Weg machen. Wir brauchen ordentliche Außengrenzen und eine Politik, die klarstellt, dass niemand illegal nach Europa kommen darf. Generell brauchen wir weniger Flüchtlinge, aber auch weniger Bürokratie bei der Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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