Umverteilen von Reich zu Arm– Zweck oder Mittel?

EINKOMMEN. Die Schere klafft auseinander, der Staat verteilt um. Doch wie sehr er das soll, darüber sind Experten geteilter Ansicht.

Wien.In Österreich sind die Einkommen relativ gleichmäßig verteilt. Das legt zumindest ein Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nahe: Der Gini-Koeffizient, der die Verteilung der Einkommen misst (in diesem Fall sind es die verfügbaren Haushaltseinkommen, gewichtet nach Haushaltsgröße), beträgt für Österreich 0,265. Ein Wert von null würde absolute Gleichverteilung bedeuten, ein Wert von eins würde anzeigen, dass eine einzige Person über das gesamte Einkommen verfügt.

Österreich liegt mit seinem Wert OECD-weit an vierter Stelle hinter Dänemark, Schweden und Luxemburg. Der OECD-Mittelwert beträgt 0,311. Deutlich größer ist die Ungleichheit in Italien (0,352) oder den USA (0,381). Den letzten Platz belegt Mexiko (0,474). Verglichen mit den Achtziger- und Neunzigerjahren ist die Verteilung aber in fast allen Ländern „ungleicher“ geworden, auch in Österreich.

Das wird hierzulande jedoch durch Umverteilung wieder abgefangen: Nach Abzug von Steuern und Abgaben und Verteilung von Transferleistungen (dazu zählen nicht nur Geldleistungen wie Arbeitslosengeld und Familienbeihilfe, sondern auch Sachleistungen wie Gesundheits- und Bildungsleistungen) hat die Ungleichheit abgenommen. Das geht aus einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) hervor.

Mehr Frauen arbeiten Teilzeit

Demnach hat sich der Gini-Koeffizient zwar auch nach Wifo für die Bruttolohneinkommen der unselbstständig beschäftigten Personen zwischen 1991 und 2005 (das letzte Jahr, für das es eine Ausgabenerhebung der Statistik Austria gibt) von 0,275 auf 0,317 erhöht. Das bedeutet aber nicht zwingend ein Auseinanderklaffen von Arm und Reich: So ist die Frauenerwerbsquote in den vergangenen zwei Jahrzehnten gestiegen.

Zugleich hat sich die Teilzeitquote stark erhöht, atypische Beschäftigungsverhältnisse (freie Dienstverträge, Werkverträge, geringfügige Beschäftigung) haben zugenommen. Viele Frauen, die früher nicht erwerbstätig waren und nicht in der Statistik aufschienen, sind auf Teilzeitbasis oder als geringfügig Beschäftigte in den Arbeitsmarkt eingestiegen. Dadurch sinken die Löhne des niedrigsten Einkommenszehntels im Schnitt, ohne dass dies zwangsläufig zu mehr Armut führt.

Doch ist auch bei den Haushaltseinkommen die Verteilung ungleicher geworden. Innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmerhaushalte stieg der Gini-Koeffizient von 0,281 im Jahr 1991 auf 0,312 im Jahr 2005. Ein Grund ist, dass die Nachfrage nach niedrigen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt sinkt, weshalb kleine Einkommensbezieher in weniger starkem Ausmaß hohe Lohnerhöhungen durchsetzen können als Gutverdiener.

„Gleichheit bringt Konsum“

Bei Topverdienerhaushalten konnten dagegen oft Mann und Frau ihre Einkommen stark verbessern. „In solchen Haushalten sind die Kinder meist schon groß, weshalb beide Vollzeit arbeiten können“, stellt Wifo-Experte Alois Guger fest.

Auch bei allen Nichtselbstständigenhaushalten (inklusive Pensionisten, Studenten etc.) ist die Verteilung der Einkommen ungleicher geworden. Aber auch das bedeutet nicht zwingend mehr Armut: Die Schere geht vor allem deswegen auseinander, weil hohe Einkommen stärker ansteigen.

Nach der staatlichen Umverteilung (Steuern und Transferleistungen) schaut das Bild ohnehin anders aus. Der Gini-Koeffizient für die verfügbaren Haushaltseinkommen (inklusive Sachleistungen) ist zwischen 1991 und 2005 von 0,211 auf 0,185 gesunken. Das bedeutet mehr Gleichheit: Allerdings nur dann, wenn man zu den Transferleistungen auch die Sachleistungen (Gesundheits- und Bildungsausgaben) rechnet. Diese wirken, obwohl sie auch den höheren Einkommensgruppen zugutekommen, ebenfalls umverteilend.

Bleibt die Frage, wie gleich die Einkommen eigentlich sein sollen. Experten sind hier geteilter Ansicht. Eine egalitäre Verteilung sei ökonomisch sinnvoll, weil sie mehr Wachstum bringe, ist Wifo-Experte Alois Guger überzeugt.

Denn dann wird mehr konsumiert und weniger gespart, was den Wirtschaftskreislauf in Schwung bringe. „Die industrielle Marktwirtschaft ist sehr produktiv: Mehr anzubieten ist leicht, aber man braucht auch die Nachfrage“, meint der Ökonom. Bei gleicher Verteilung der Einkommen hätten auch mehr Leute Zugang zu Bildung, was sich ebenfalls positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirke. Und die Ausgaben für Polizei und Sicherheit seien geringer.

IHS-Experte Helmut Hofer ist nicht ganz dieser Ansicht: „Ob eine Einkommensverteilung ideal ist oder nicht, ist eine rein ideologische Frage“, meint er. Umverteilung sei per se kein Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck, etwa um Polizeiausgaben zu senken.

„Keine falschen Anreize setzen“

Doch sollte die Umverteilung nicht dazu führen, negative Anreize zu setzen: „Das wäre etwa der Fall, wenn man mit der Kombination aus Arbeitslosengeld und Pfusch besser gestellt ist als jemand, der arbeitet“, sagt Hofer. Es sei auch ein wichtiges Ziel, Armut zu bekämpfen. „Es ist aber ein Unterschied, ob ich will, dass niemand mehr arm ist, oder, dass jeder mehr als 50 Prozent des Medianeinkommens verdient.“

Wichtiger als direkte Umverteilung ist seiner Meinung nach die Herstellung von Chancengleichheit, etwa über Investitionen in Bildung, Qualifizierung und Integration von Migranten.

Das Wifo kritisierte in seiner Studie indes die mangelnde Umverteilung durch die Steuern: Zwar wirkt die Lohnsteuer progressiv, steigt also mit zunehmendem Einkommen stark an. Die Sozialversicherungsabgaben wirken dagegen leicht regressiv: Topverdiener müssen dank der Höchstbeitragsgrenze einen geringeren Anteil dafür aufwenden als Mittelverdiener. Die indirekten Steuern, vor allem die Mehrwertsteuer, wirken regressiv: Je geringer das Einkommen, desto höher der Anteil von Konsumausgaben und Mehrwertsteuer.

Zu einem anderen Urteil kommt man allerdings, wenn man das Gesamtaufkommen der Steuern und den Anteil der jeweiligen Einkommensgruppen betrachtet. Absolut betrachtet steht fest: Die höchsten Einkommensbezieher zahlen auch die meisten Steuern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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