US-Musikmarkt: Bequemes Hören schlägt den Besitz

Wozu Musikstücke besitzen, wenn der spontane Zugang so einfach ist? Streamingdienste wie Spotify, Deezer, Tidal oder Apple Music boomen in den USA – und weltweit.
Wozu Musikstücke besitzen, wenn der spontane Zugang so einfach ist? Streamingdienste wie Spotify, Deezer, Tidal oder Apple Music boomen in den USA – und weltweit.(c) AFP
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Streaming galoppiert gewohnten Tonträgern davon: Die Zahl der auf Spotify und Co. gespielten Songs hat sich 2016 in den USA fast verdoppelt. Vor allem Bezahlversionen boomen.

Wien. In der Welt der Musik ist nichts mehr, wie es war. Früher nannte man die persönlichen Lieblingslieder gern sein Eigen, erst auf Schallplatte, dann auf CD. Auch wer einen Song auf iTunes herunterlädt, besitzt ihn noch, wenn auch nur als dauerhaften Speicherplatz. Beim Streaming aber verschwinden die Klänge aus dem Internet sofort mit dem Hören – und dieser Zugang zu Musik setzt sich machtvoll durch. Ob Spotify, Deezer, Tidal oder Apple Music: Was hierzulande noch als Domäne der Jugend gilt, erfasst in den USA schon die breite Masse und stellt alle anderen Formen des Musikkonsums in den Schatten.

Im Vorjahr haben die Amerikaner 251 Milliarden Musikstücke gestreamt – um 83 Prozent mehr als noch 2015. Der stärkste Zuwachs kam dabei mit plus 124 Prozent aus den Bezahlversionen. Viele Musikhörer dürften auf solche Abos umgestiegen sein, von den Gratis-Einstiegsversionen, die sich über Werbeeinschaltungen finanzieren. Deren Nutzung stieg nur um 14 Prozent. Damit erhöhte sich der Anteil der kostenpflichtigen Dienste am gesamten Audio-Streaming von 62 auf 76 Prozent. Auf Videoplattformen wie YouTube haben die Amerikaner im Vorjahr 181 Milliarden Mal ein Musikvideo angeschaut. Auch dieser Markt wächst weiter, mit immerhin acht Prozent.

Mehr Musikkonsum denn je

Ins Hintertreffen geraten bei alldem die bisher gewohnten Tonträger, egal ob handfest oder digital: Die Zahl der in den Vereinigten Staaten verkauften CDs ging um 14 Prozent zurück. Die permanenten Downloads von Alben brachen sogar um über 19 Prozent ein. Allein die gute alte Schallplatte setzt ihr kleines, feines Comeback fort: Um 26 Prozent legte Vinyl zu – was freilich trotzdem nur für knapp drei Prozent aller Albenverkäufe reicht.

Alle diese Daten stammen vom Branchendienst Buzz Angle Music, der erstmals einen solchen Jahresbericht erstellt hat. Er interessiert sich nicht für Erlöse, sondern nur für Mengen, also das Verhalten der Musikhörer. Die Analysten schätzen auch eine Summe an Hörgenuss, indem sie die Medien gewichten (ein Album enthält im Schnitt zehn Songs; ein gekauftes Stück oder Album wird anders als ein gestreamter Inhalt mehrmals gespielt). Das Ergebnis: Die Amerikaner haben um 4,2 Prozent mehr Musikstücke auf Tonträgern konsumiert als 2015. Es ist das zweite Jahr in Folge mit robustem Wachstum: „Mehr Musik wird von mehr Menschen gehört als je zuvor.“

Wohlgemerkt: Es geht hier um Mengen. Wie viel die Streaming- und Videoplattformen mit Abos oder Werbung umsetzen, welchen Anteil davon sie an die Musiklabels abgeben und wie wenig am Ende für die Musiker und Komponisten bleibt, ist damit nicht gesagt. Für die Umsätze gilt es, den Report des US-Branchenverbands im März abzuwarten. Aber seine Zahlen für das Jahr 2015, das auch schon vom Siegeszug des Streaming geprägt war, zeigten deutlich: Das Internet ist nicht der Tod des Musikgeschäfts, sondern sorgt sogar für neue Dynamik. Der Streaming-Boom lässt auch die globalen Umsätze wieder leicht wachsen. Anders im sehr traditionellen Markt Österreich, wo die leibhaftigen Tonträger weiter dominieren: Hier gingen die Gesamtumsätze zuletzt zurück.

Für Buzz Angle erhöht das Streaming zudem die Auswahl und fördert damit die Vielfalt: Im Vorjahr wurden in den USA sieben Millionen verschiedene Einzeltitel gekauft, aber 28 Millionen über Streaming abgespielt.

Der Branchendienst erfasst auch, was Amerikaner am liebsten hören. Bei den Genres stehen Hip-Hop (18 Prozent der Tracks), Pop (15 Prozent) und R & B (zehn Prozent) ganz oben. Es folgt Country (gut acht Prozent), die amerikanische Form von Volksmusik. Klassik führt jenseits des Atlantiks mit 1,1 Prozent nur ein Schattendasein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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