Machtkampf um die Sozialversicherungen

Seit Jahrzehnten wird in Österreich über Reformen im Gesundheitssystem diskutiert.
Seit Jahrzehnten wird in Österreich über Reformen im Gesundheitssystem diskutiert.(c) HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com
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Kanzler Kern will weniger Sozialversicherungen. Doch die Betroffenen wehren sich gegen Zusammenlegungen – wie die der Wirtschaft nahestehende AUVA.

Wien. Im Gesundheitssystem läuft vieles nicht optimal, wie die Diskussion über Gangbetten in Wiener Spitälern zeigt. Ein Problem sind die komplizierten Finanzströme über die vielen Sozialversicherungen. So ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger für 18 Krankenversicherungsträger, die Unfallversicherung AUVA, die Pensionsversicherungsanstalt und die Versicherungsanstalt des Notariates zuständig. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) will das teilweise auf die Monarchie zurückgehende System modernisieren.

Doch bei den Betroffenen regt sich Widerstand. In SPÖ-Kreisen wird hinter vorgehaltener Hand über Einsparungen bei der Unfallversicherungsanstalt AUVA nachgedacht. Diese hat 5700 Mitarbeiter und sieben Unfallspitäler (wie das Lorenz Böhler und das UKH Meidling).

AUVA will eigenständig bleiben

Die AUVA gilt als Domäne der Wirtschaft und der ÖVP. Sie sitzt auf Reserven von 1,3 Mrd. Euro. Am Mittwoch lud AUVA-Obmann Anton Ofner zu einer Pressekonferenz ein, um sich gegen eine mögliche Zusammenlegung der AUVA mit Krankenversicherungen zu wehren. Ofner präsentierte eine Patientenbefragung, bei der die AUVA-Leistungen gelobt wurden.

Bei einer Abschaffung der AUVA wäre laut Ofner eine flächendeckende Unfallversicherung massiv gefährdet: „Ohne AUVA geht es nicht.“ Andere Staaten wie Italien und Frankreich, die Kranken- und Unfallversicherungen zusammengelegt haben, machten dies wieder rückgängig.

Derzeit haben SPÖ und ÖVP die Macht im Gesundheits- und Sozialversicherungssystem über die Kammern untereinander aufgeteilt. „Die ÖVP wird die AUVA niemals ohne Gegenleistung hergeben. Eine Abschaffung der AUVA wäre für die ÖVP ein Grund, Neuwahlen auszurufen“, meint Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer im „Presse“-Gespräch.

In Österreich wird seit Jahrzehnten über eine Zusammenlegung der Kranken- und Sozialversicherungen diskutiert. Nun erhöht Bundeskanzler Kern den Druck. Dazu hat Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) bei der London School of Economics (LSE) eine Effizienzstudie in Auftrag gegeben. Die ÖVP wirft Stöger vor, hier tendenziös vorgegangen zu sein.

Denn im Auftragstext steht, dass neuere Sozialversicherungssysteme aus zwei Sparten bestehen: der Krankenversicherung und der Pensionsversicherung. In Österreich gibt es mit der Unfallversicherung, die in der Monarchie gegründet wurde, aber noch eine dritte Sparte. Daher sollen die Experten in London überprüfen, ob zwei Sparten effizienter seien.

Die ÖVP befürchtet, dass dieser Auftragstext auf die Abschaffung der AUVA hinausläuft. Das Sozialministerium bestreitet das. Das System soll ergebnisoffen durchleuchtet werden, heißt es.

Ärztekammer für Fusionen

„Wenn man die AUVA abschaffen will, muss man sich auch die Krankenkassen ansehen“, fordert Gesundheitsökonom Pichlbauer. Zu hinterfragen seien die 18 unterschiedlichen Krankenversicherungsträger. Dazu gehören die neun Gebietskrankenkassen (eine für jedes Bundesland). Hinzu kommen fünf Betriebskrankenkassen, die Sozialversicherungsanstalt der Bauern, die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (Beamte), die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft und die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau.

Pichlbauer befürchtet, dass die von Stöger in Auftrag gegebene Studie zu einer „kleinen Reform“ führen wird wie die Zusammenlegung der fünf Betriebskrankenkassen und die Eingliederung der AUVA in die Krankenkassen. „Das ist zu wenig“, sagt Pichlbauer. Er ist dafür, dass alle Krankenversicherungsträger zusammengelegt werden. Denn Österreich habe zu viele Krankenkassen.

„Für ein kleines Land wie Österreich reicht eine Kasse aus“, sagt der Ökonom. Auch die Ärztekammer fordert Fusionen, um die Effizienz zu steigern. Die ÖVP will jedoch, dass die föderalistische Struktur mit einer Gebietskrankenkasse für jedes Bundesland erhalten bleibt.

Zurück zur AUVA: Diese erwirtschaftete im Vorjahr einen Verlust von 44 Mio. Euro. Schuld daran ist unter anderem die gesetzlich verordnete Beitragssenkung von 1,4 Prozent auf 1,3 Prozent. Dies bescherte der Unfallsicherungsanstalt AUVA einen jährlichen Einnahmensentfall von 100 Mio. Euro. Und zu den Reserven von 1,3 Mrd. Euro erklärt die AUVA, dass davon nur 360 Mio. Euro liquid, also unmittelbar verfügbar, seien. Beim Rest handelt es sich um Immobilien sowie Einrichtungen wie Unfallspitäler und Rehabilitationszentren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2017)

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