Freihandel: IWF gesteht Nachteile ein

International Monetary Fund (IMF) Managing Director Christine Lagarde addresses the Council of the Americas meeting in Washington
International Monetary Fund (IMF) Managing Director Christine Lagarde addresses the Council of the Americas meeting in WashingtonREUTERS
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Die Organisationen IWF, WTO und Weltbank nehmen die Verlierer der Globalisierung unter die Lupe. Ihr Vorschlag: Die Staaten müssen diesen Menschen mehr helfen – mit Geld.

Wien/Berlin. Mehr Handel, weniger Schranken, steigende Produktivität und höheres Wachstum. Das war, vereinfacht gesagt, das Wirtschaftskonzept der vergangenen Jahrzehnte. Und zwar weltweit. Aber angesichts des wachsenden Unmuts, den sich linke Globalisierungskritiker und rechte Populisten zu Nutze machen, werden die Vertreter von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) langsam nervös.

Es sei nun Aufgabe der Regierungen, Bürgern und Arbeitern zu helfen, die von der Globalisierung nicht direkt profitieren würden, hieß es am Montag bei der Präsentation des globalen Wirtschaftsberichts der drei multilateralen Organisationen: „Der Handel mit seiner Bedeutung für die Weltwirtschaft steht vor einer entscheidenden Weichenstellung.“

Die Organisationen gehen in ihrem Bericht sehr konkret auf die Probleme jener ein, die meist als die „Verlierer der Globalisierung“ bezeichnet werden. Aber weil es aus der Sicht von IWF und Co. auch keine Alternative zum freien Handel gibt und protektionistische Maßnahmen abgelehnt werden, wird ein anderer Weg vorgeschlagen. „Die Politik muss handeln, um negative Effekte zu mildern“, sagte IWF-Chefin Cristine Lagarde am Montag bei einem Besuch in Berlin.

Zuschüsse vom Staat?

Auf der Makroebene heißt das: „Exzessive Handelsungleichgewichte müssen verringert werden. Im Falle Deutschlands etwa durch Investitionen“, so Lagarde. Und auf der Mikroebene, wo die tatsächlich betroffenen Menschen zuhause sind? Da müssten die Regierungen eingreifen. Wenn nötig mit Geld. Die drei Organisationen schlagen den Staaten die Einführung einer „Einkommens-Versicherung“ vor, die helfen soll, wenn Regionen und deren wirtschaftliche Struktur von günstigen Importen bedroht werden. Solche Programme könnten helfen, die Lohnkosten zu senken – indem der Staat zu den Gehältern einen Aufschlag zahlt. Der Report von IWF, WTO und Weltbank gibt aber auch zu, dass die Erfahrungen mit solchen Programmen durchwachsen sind: So würden Arbeitgeber aufgrund der staatlichen Stützung dazu tendieren, generell niedrigere Löhne anzubieten und sich auf die Zuschüsse zu verlassen.

Neben der Einkommens-Versicherung sollten die Staaten auch mehr Hilfe bei der Jobsuche leisten und Trainingsprogramme finanzieren. Zudem schlägt der Report auch Zahlungen für Arbeiter vor, die auf der Jobsuche in andere Regionen umziehen wollen.

Der Report kommt im Vorfeld des Frühlingsmeetings von IWF und Weltbank, das ab 19. April in Washington stattfindet. Beim letzten G20-Gipfel der Finanzminister, setzten sich die USA mit ihrer Forderung durch, das Bekenntnis zum Freihandel aus dem Kommuniqué zu streichen. Auch deshalb macht die Französin Lagarde Druck auf Deutschland. Berlin hat heuer die G20-Führung inne. Aber Angela Merkel hat sich bisher geweigert, das Freihandels-Gegenstück zu Donald Trump zu spielen. Es ist ein Wahljahr für Merkel.

Fortschritt frisst Industriejobs

Der neue US-Präsident hatte im Wahlkampf angekündigt, den benachteiligten Industrie-Arbeitern in den USA unter die Arme greifen zu wollen – mit Handelsschranken. Als „Übeltäter“ hat Trump vor allem China und Mexiko identifiziert. Erhöhte Tarife und Zölle für Importe in die USA hat Trump zwar angedroht, bisher aber nicht eingeführt. Zum Teil bestätigen die Handelsorganisationen jetzt sogar den Präsidenten. So werden in dem neuen Bericht Studien zitiert, wonach Industrieregionen, die von China-Importen betroffen sind, „seit dem Jahr 2000 einen bedeutenden Einbruch bei Jobs und Einkommen gesehen haben, was vor allem niedrig qualifizierte Arbeiter getroffen hat“. Laut IWF ist der Anteil der Arbeiter am nationalen Einkommen seit 1991 in 29 der 50 größten Volkswirtschaften gefallen

Allerdings sei der Freihandel dafür keineswegs alleine zur Verantwortung zu ziehen. Die Analyse der Organisationen habe ergeben, dass der technische Fortschritt der wichtigste Faktor bei dieser Entwicklung sei, heißt es. Denn auch wenn die Nachteile des Freihandels jetzt offen besprochen werden: Protektionismus und Abschottung seien eben keine Alternativen, so IWF, WTO und Weltbank. (jil)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2017)

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