Sammelklage

Sammelklagen: „Leitl sitzt auf Türdacke zum Minister“

Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich.
Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Der Wiener Rechtsanwälte-Präsident Michael Enzinger spricht sich dafür aus, Massenverfahren zu vereinfachen. Verhindert werde das von der Wirtschaftskammer.

Wien. Warum es in Österreich trotz jahrelanger Diskussionen und einschlägiger Vorarbeiten noch immer keine Sammelklage gibt, erklärt der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer sehr bildhaft so: „Solange sich Leitl auf die Türdacke zum Minister setzt, sehe ich wenig Bewegungsmöglichkeiten“, sagt Präsident Michael Enzinger. Christoph Leitl ist Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), hinter der imaginären Tür sitzt der ÖVP-nominierte Justizminister, Wolfgang Brandstetter.

Sammelklagen ermöglichen es, gleich gelagerte Einzelfälle kollektiv in einem Gerichtsverfahren zu erledigen. Das können Prozesse geschädigter Anleger ebenso sein wie Klagen von VW-Fahrern, die sich durch die Abgasmanipulationen geschädigt fühlen. In den USA steht dafür das Instrument der Sammelklage (Class Action) zur Verfügung. Diese kann so weit gehen, dass Betroffene erst gar nicht aktiv werden müssen, um auch ihren Fall erledigt zu bekommen, sondern dass sie umgekehrt eigens deklarieren müssen, nicht dabei sein zu wollen (Opt-out). In Österreich existiert hingegen nur eine Behelfslösung: Alle, die im Kollektiv ihr Recht durchsetzen wollen, müssen ihre behaupteten Ansprüche einzeln abtreten – zum Beispiel dem Verein für Konsumenteninformation.

Verfahren dauern zu lang

„Man kann nicht auf der einen Seite beklagen, dass Verfahren zu lange dauern, und auf der anderen Seite gibt es keine Möglichkeit, solche Verfahren zu kanalisieren und zu ökonomisieren“, sagte Enzinger am Montag in einem Pressegespräch an die Adresse der WKO. Brandstetter wäre nach seiner Einschätzung schon dafür zu gewinnen: „Hemmschuh ist nicht die Justiz, sondern schlicht und ergreifend die WKO.“ Dabei sei auch Leitl „ein Getriebener seiner Mitglieder: Diese fürchten, dass Unternehmen mit solchen Verfahren bedrängt werden.“ Was dabei herauskomme, sei „reine Interessenpolitik“.

Mit überlangen Verfahren, deretwegen Österreich laufend vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt werde, gehe der Rechtsstaat aber an die Grenze. Enzinger will, dass die Zivilgerichte vor allem in Wien mit mehr Ressourcen ausgestattet werden; das nötige Geld dafür spiele die österreichische Justiz mit den „höchsten Gerichtsgebühren in ganz Europa oder sogar weltweit“ ohnehin herein.

Zu Brandstetters Vorhaben, das Strafrecht zu verschärfen, äußerte Enzinger sich differenziert: Wenn staatsfeindliche Organisationen im Verborgenen bereits viel größer seien als bisher angenommen, sei es richtig, zu reagieren. Statt aber Beamte und Straßenbahnkontrollore mit höheren Strafdrohungen gegen Angriffe zu schützen, wünscht Enzinger sich etwas anderes: Rechtsanwälte sollten in ihrer Berufsausübung unter besonderen Schutz gestellt werden. Es gebe eine Tendenz bei den Staatsanwälten, Verteidiger wegen deren Arbeit gleich zu Mittätern zu machen. (kom)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2017)

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