MySugr: Zum Gründen nach Wien, zum Kassieren nach Basel

Ob Fredrik Debong bei der Gründung von MySugr 2012 wohl ahnte, dass er fünf Jahre danach damit zig Millionen machen würde?
Ob Fredrik Debong bei der Gründung von MySugr 2012 wohl ahnte, dass er fünf Jahre danach damit zig Millionen machen würde?(c) Katharina Roßboth
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Der Pharmakonzern Roche schluckt MySugr, das Wiener Start-up für Diabetiker. Kolportierter Preis: bis zu 200 Millionen Euro.

Wien. Was lockt einen Deutschen und einen Schweden zum Gründen nach Wien? „Die sehr guten Förderungen, wenn man ein Unternehmen aufbaut“, gab Frank Westermann vor drei Jahren offen zu Protokoll. Zu der Zeit war der ehemalige Berater längst daran gewöhnt, in fast jedem Gespräch über seine Krankheit zu sprechen. Frank Westermann ist Typ-1-Diabetiker. Lange Zeit hat ihn seine Krankheit genervt, im Alltag behindert – jetzt hat sie ihn reich gemacht.

2012 entwickelte er zusammen mit dem Schweden Fredrik Debong (ebenfalls Diabetiker) und den Österreichern Gerald Stangl und Michael Forisch MySugr, eine Art digitales Diabetestagebuch für das Smartphone, das den Nutzern helfen soll, die Krankheit spielerisch in den Griff zu bekommen. Heute, nur fünf Jahre später, übernimmt der Schweizer Pharmariese Roche das knapp 50 Mitarbeiter starke Jungunternehmen. Über den genauen Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Kolportiert wird jedoch ein Betrag von bis zu 200 Millionen Euro.

380 Millionen Diabetiker

Damit wäre es der drittgrößte Exit der vergangenen Jahre in der heimischen Start-up-Szene. Die Fitness-App Runtastic ging im August 2015 für 220 Millionen Euro an den deutschen Sportartikelhersteller Adidas. Nur einen Monat später bezahlte der norwegische Medienkonzern Schibsted 200 Mio. Euro für die Flohmarkt-App Shpock. Zuvor waren ähnlich große Deals rar. 2009 kaufte die spanische Telefónica um 207 Mio. Dollar den heimischen Skype-Konkurrenten Jahjah.

Auch diesmal hat ein Großkonzern zugegriffen. Ganz überraschend kommt das allerdings nicht. Denn MySugr hat all das, wovon die meisten Start-ups nur träumen: eine Idee, die wirklich funktioniert. Genug Rückendeckung durch Investoren. Eine Million Kunden und mit 380 Millionen Diabetikern weltweit noch viel Luft nach oben. Ein Büro im Silicon Valley. Vor allem aber: einen Plan, aus der Idee auch Geld zu machen. Wer MySugr voll nutzen will, muss ein Monatsabo kaufen. Manchmal übernehmen Pharmakonzerne die Kosten, um ihre Medikamentenkunden zu mehr Disziplin bei der Einhaltung der Therapie zu motivieren. Andere Pharmakonzerne nutzen MySugr zu Schulungszwecken. Einer der engsten Kooperationspartner war schon bisher Roche, das bereits vor drei Jahren einen kleinen Anteil (gut zwölf Prozent) am Unternehmen übernommen hat.

Nun hat der gebürtige Tiroler Severin Schwan, seines Zeichens Roche-Chef und der bestbezahlte Manager Europas, den Sack zugemacht. Er kauft nicht nur die vier Gründer, die zuletzt 45 Prozent gehalten haben, aus der Firma. Auch Österreichs Investmentlegende Hansi Hansmann (15,69 Prozent) kommt wieder einmal auf seine Kosten. Er kassierte schon beim Verkauf von Runtastic und Shpock mit. Neben der Roche Finanz AG (12,34 Prozent) waren auch iSeed aus den USA (12,33 Prozent) und die burgenländische Bankiers- und Windkraftfamilie Püspök (vier Prozent) bei MySugr mit an Bord.

MySugr darf in Wien bleiben

Egal, ob letztlich wirklich ein dreistelliger Millionenbetrag geflossen ist oder nicht: Für Roche, einen Weltkonzern mit fast 50 Milliarden Euro Jahresumsatz, fällt der Zukauf kaum ins Gewicht. Strategisch ergibt die Kombination des weltgrößten Anbieters von Diabetestherapien und der erfolgreichsten Smartphone-App für diese Patientengruppe in jedem Fall Sinn. „Wir freuen uns über diese Vereinbarung, weil wir mit der offenen Plattform eine einfache und zugängliche Lösung für Menschen mit Diabetes anbieten und so besser auf ihre Bedürfnisse eingehen können“, sagte der Chef von Roche Diagnostics, Roland Diggelmann.

Die Vereinbarung mit den Schweizern sieht vor, dass MySugr weiterhin als eigenständiges Unternehmen bestehen bleibt. Am Standort Wien wird ebenso wenig gerüttelt wie an den Expansionsplänen. In den kommenden zwei Jahren will MySugr von 47 auf 200 Mitarbeiter aufstocken. Mit Roche als Eigentümer werde MySugr ein „unverzichtbarer Begleiter für ein leichteres Leben mit Diabetes werden“, sagt Frank Westermann. Und für ihn wohl das schönste Hobby der Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2017)

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Das Wiener Start-up mySugr, das ein Digital-Service für Diabetiker entwickelt hat, schaffte einen erfolgreichen Exit. Es wurde vom Schweizer Pharmariesen Roche geschluckt. "Der größte Deal im Digital-Health-Bereich bis dato", heißt es.

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