Kommt in Deutschland die 28-Stunden-Woche?

Hüttenwerk im Landschaftspark Duisburg
Hüttenwerk im Landschaftspark Duisburg (c) imago/blickwinkel (S. Ziese)
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Die Gewerkschaft IG Metall will die Wochenarbeitszeit bei Bedarf auf 28 Stunden reduzieren. Die Wirtschaft lehnt die Forderung ab. Die österreichische Gewerkschaft verfolgt den Konflikt mit Argusaugen.

Berlin/Wien. Über kaum ein anderes Thema wird zwischen Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften so heftig gestritten wie über flexible Arbeitszeiten. In Österreich einigten sich die Sozialpartner Ende Juni, dass es bis zum Jahr 2020 einen kollektivvertraglichen Mindestlohn in Höhe von 1500 Euro brutto geben soll. Doch eine Lösung über flexiblere Arbeitszeiten, wie sie von vielen Unternehmen gefordert wurde, kam nicht zustande. Interessant ist ein Blick nach Deutschland.

Dort ist ein Streit um die Einführung der 28-Stunden-Woche ausgebrochen. So schwebt der IG Metall das Recht auf eine 28-Stunden-Woche für maximal zwei Jahre vor. Die IG ist die größte deutsche Industriegewerkschaft. Sie wird ihre Ziele zur Arbeitszeit gemeinsam mit der Lohnforderung im Oktober beschließen. Doch es zeichnet sich schon jetzt ab, dass die 28-Stunden-Woche eines der nächsten großen Konfliktthemen in Deutschland sein wird. Meist dauert es nur eine kurze Zeit, bis solche Diskussionen auch in Österreich geführt werden.

Die „Presse“ hat dazu am Dienstag bei der Gewerkschaft Pro-Ge (Produktionsgewerkschaft) nachgefragt. Die Pro-Ge ist die größte Arbeitergewerkschaft in Österreich. Dort hieß es, man sympathisiere mit den deutschen Kollegen. Doch eine Forderung nach einer 28-Stunden-Woche werde in Österreich nicht erhoben.

Mehr Freizeit statt mehr Geld

Wobei Vertreter der deutschen IG Metall nicht missverstanden werden wollen: Ihnen geht es nicht um eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 28 Stunden, sondern um mehr Selbstbestimmung. So sollen alle Vollzeitbeschäftigte das Recht bekommen, für maximal zwei Jahre die Wochenarbeitsarbeitszeit auf 28 Stunden zu reduzieren. Danach sollen sie wieder auf die ursprüngliche Vollzeit wechseln. Die Betroffen sollen bei einer Reduktion im Monat weniger verdienen, der Stundenlohn soll aber gleich bleiben.

Ziel der Gewerkschaft ist es, dass die Menschen ihr berufliches und privates Leben individuell besser vereinbaren können. „Ob es die Zeit für den Hausbau, ein Tag weniger pendeln in der Woche, oder das Ansparen von Zeitguthaben für eine Weltreise ist – auch die Bedürfnisse der Beschäftigten müssen zählen“, sagte Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, der deutschen Zeitung „Welt“. Es gebe Situationen im Leben, in denen die Menschen weniger arbeiten wollen. Als Beispiel nannte er die Kindererziehung, die Betreuung von pflegebedürftigen Angehören oder etwas für die eigene Gesundheit tun.

Bei ihrer Forderung beruft sich die IG Metall auf eine Umfrage, die sie zu Jahresbeginn durchgeführt und an der 680.000 Arbeitnehmer aus rund 7000 Betrieben teilgenommen haben. Herausgekommen ist, dass die meisten Menschen ein Recht auf eine vorübergehende Reduktion der Arbeitszeit haben wollen. Wer auf Teilzeit reduziert hat, soll ein gesetzlich garantiertes Rückkehrrecht auf Vollzeit haben.

Erst Anfang Juli zeigte der Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn, dass viele Beschäftigte mehr Urlaub statt mehr Geld haben wollen. So entschied sich die Mehrheit der Mitarbeiter für sechs Tage mehr Urlaub statt für 2,6 Prozent mehr Gehalt.

Vertreter der deutschen Wirtschaft lehnen die 28-Stunden-Woche kategorisch ab. Falls sich die Gewerkschaft hier durchsetzt, werde es zu Produktionsverlagerungen ins Ausland kommen, heißt es. Außerdem würde sich der Facharbeitermangel weiter verschärfen. So gab es in Deutschland zuletzt 1,064 Millionen offene Stellen. Das ist ein neuer Rekord. Vor allem kleinere und mittlere Firmen suchen Fachkräfte mit einer Berufsausbildung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2017)

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